Schweren Herzens

Misia ist die streitbare Diva des Fado, jenem portugiesischen Gesangsstil, der es wie kein anderer versteht, das Drama des Lebens, in eingängige drei- bis vierminütige Lieder zu verpacken. Im Rahmen von „Jazz and the City“ kommt sie für ein Konzert nach Salzburg. Mit vision.altstadt sprach sie über Rituale, Subversion und darüber, dass das Leben meistens doch nur ein Lied kennt.

Was bedeutet Fado für Sie persönlich?
Generell bedeutet Fado Schicksal, Leben schlechthin. Fado ist also eine Musik, die sich genau damit beschäftigt, was traurig, aber auch sehr genussvoll sein kann. Für mich persönlich ist Fado ein Weg, mit mir selber klarzukommen und in das Auge des Schicksals zu blicken, ohne mich vor ihm fürchten zu müssen.

Sie haben einmal gesagt, im Fado gehe es um physische Emotionen. Was genau meinen Sie damit?
Die Emotion muss beim Fado in der Stimme liegen. Wenn das der Fall ist, geht es weniger um Perfektion als um vollen Einsatz. Ich singe mit meinem ganzen Körper, mit meiner Haut, meinen Nägeln … das ist eine sehr physische Erfahrung. Selbst wenn das Konzert schon lange vorüber ist, bin ich immer noch voller Adrenalin und überhaupt nicht müde, egal wie spät es ist. Diese Energie, diese Ausgeglichenheit gibt mir das Singen.

Klingt nach einer wahren Katharsis.
Unbedingt. Mein Psychotherapeut sagt immer, ich hätte mir keinen besseren Beruf aussuchen können.

Gut für Sie, schlecht für ihn.
(lacht) In der Tat. Er hätte sonst wohl viel mehr zu tun. Aber nur damit kein Missverständnisse aufkommen: Ich gehe nicht auf die Bühne, um dort die kleinen Tränen des Lebens zu weinen und so meinen Schmerz wegzutherapieren. Das mach ich schon Zuhause. Es geht vielmehr darum, dass zwischen dem Publikum und mir eine transzendente Beziehung entsteht, die beiden zugute kommt.

In einem „Ritual“, wie eines Ihrer Alben hieß?
Ja, einer Art gemeinsamen Messe. Und dabei geht es nicht nur um gemeinsame Trauerarbeit, sondern auch um Humor. Es wird ja auch viel gelacht in meinen Konzerten. Mehr als um Traurigkeit geht es um Tiefe. Manchmal kommen Leute nach dem Konzert zu mir und bedanken sich, weil es für sie tatsächlich eine Art der Erleichterung brachte.

Diese tiefe Verbindung herzustellen und aufrechtzuerhalten stelle ich mir sehr schwierig vor.
So ist das Leben. Gefährlich. Wenn ich zuhause bleibe, fällt mir dort vielleicht das Dach auf den Kopf. Aber im Ernst: Ich war die erste Fado-Sängerin nach Amalia Rodrigues, die vor einem deutschsprachigen Publikum sang. Und nach mir kamen andere. Aber Furcht, dass es nicht funktioniert oder mir jetzt die Jungen etwas streitig machen, hatte ich nie. Was mir gehört, gehört mir. In der Kunst gibt es keinen Wettbewerb.

Im Fado haben die Texte einen äußerst hohen Stellenwert. Nun spricht wohl die Mehrheit eines deutschsprachigen Publikums kein Portugiesisch. Wie kommt es, dass der Vortrag trotzdem funktioniert?
Ich singe öfter vor fremdsprachigem Publikum als vor einem Publikum, das Portugiesisch versteht. D.h. in der überwiegenden Zahl meiner Konzerte versteht das Publikum die Texte nicht. Deshalb auch ist dieses Ritual so wichtig. Denn egal ob Österreich, Japan oder Portugal: Wen ich die Worte als eine Art Medium erkläre, folgt mir das Publikum, weil es begreift, was ich fühle – ganz unabhängig davon, ob es die einzelnen Worte versteht oder nicht.
Wissen Sie, eigentlich wollte ich immer Anthropologe werden. Schließlich wurde ich Sängerin. Auch nicht übel. Heute denke ich aber, dass beide Tätigkeiten einander sehr ähnlich sind: Wenn wir einen afrikanischen Stamm sehen, der ein bestimmtes Ritual vollführt, wissen wir vielleicht auch nicht, worum exakt es geht. Was wir aber sicher wissen, ist, dass es eine wichtige Rolle in der Kultur dieses Stammes spielt und daher folgen wir, begreifen instinktiv. Ähnlich verhält es sich mit dem Fado. Ich muss nicht verbal verstehen, worum es wirklich geht, um ihn emotional zu verstehen.

Wenn man zum ersten Mal den Texte eines Liedes liest, das man lange ohne Text kannte, stellt sich oft ein Aha-Erlebnis ein, weil man mit der Melodie mitunter etwas völlig anderes assoziierte.
Ja, das gibt es. Es gibt aber auch das genaue Gegenteil. Auf meinem letzten Album singe ich ein japanisches Lied. Als ich einen Freund aus Japan irgendwann, lange nachdem ich mich begonnen hatte, dafür zu interessieren, nach dem Text fragte, wollte er nicht glauben, das ich ihn noch nicht kannte. Es geht darin nämlich um eine Frau, die nachts in einem nebligen Hafen auf ihren Liebsten wartet und dabei in tiefem Fernweh schwelgt. Ein typischer Fado also. Instinktiv hatte ich mir genau das ausgesucht, was zu mir passt.

Vom Stierkampf bis zur Anarchie behandeln Fados schlichtweg alles, haben Sie einmal gesagt. Am besten würden aber – vor allem bei den Touristen – die Traurigen funktionieren. Muss man gelitten haben, um ein guter und glaubhafter Fado-Sänger zu werden?
Speziell gelitten haben muss man nicht. Aber man sollte fähig sein, den Schmerz zu fühlen. Singen kann leicht mal jemand. Aber um aus der Familie Fado, Flamenco, Tango, Rembetika oder Blues etwas zu vermitteln, braucht es Erfahrung – nicht unbedingt des Leids. Aber über die Schwierigkeiten des Lebens sollte man schon Bescheid wissen.

Hat sich ihre Sicht auf den Fado, seit Sie zu singen begannen, verändert?
Nein. Ganz und gar. Ich habe nie ein spezielles Instrument verwendet, um modern zu sein. Meine Musik war nie modern, sondern damals wie heute immer nur zeitgenössisch. Andererseits hatte ich 1990, als ich mein erstes Album aufnahm, eine klare Vision. Paolo Braganca und ich waren damals viel subversiver als es die nächste Generation des Fado ist, für die ich, wie man sagt, die Tür geöffnet haben soll, und – er singt leider nicht mehr – ich bin es wohl heute noch. Man sagt, manche Schriftsteller schreiben immer wieder das gleiche Buch. Ähnlich ist es wohl bei mir.

Das erinnert mich an Neil Young, der einmal einem wütenden Fan, als dieser zwischen zwei Liedern „It all sounds the same“ rief, nüchtern entgegnete: „It´s all one song“.
Tatsächlich? Das gefällt mir. In Wahrheit ist es nämlich meist viel einfacher als man denkt. Wichtig ist, ist sich mit dem Leben zu beschäftigen, ob man jetzt malt, schreibt oder singt. Daher ist es letztlich wohl wirklich nur ein Song, den man immer wieder singt. In unterschiedlichen Variationen freilich.

Begreifen Sie Ihre Kunst als politisch?
Nicht unbedingt. Natürlich stehen die meisten Schriftsteller, deren Gedichte ich singe, links. Mehr als der Inhalt der Lieder aber wurde mein Auftreten in Portugal als politisch begriffen. Dass ich mich anders kleidete, dass ich nie heiratete, und dass ich die Khomeinis des Fado nicht um Erlaubnis fragte, sondern tat, was ich tun wollte war damals in Portugal sehr ungewöhnlich und wurde ganz klar feministisch interpretiert. Dabei liegen die Dinge auch hier einfacher: Ich habe nicht lange drüber nachgedacht, sondern mich gekleidet, wie ich es für richtig hielt und gesungen, was ich singen wollte. Letztlich habe ich ja auch einen hohen Preis dafür bezahlt.

Was meinen Sie damit?
Es ist einfach anders und kostet sehr, sehr viel Kraft, Dinge alleine zu machen. Kraft, die einem dann für andere Dinge fehlt.

Sie tun, was Sie tun wollen, aber wenn Sie in einem der bekannten Fado-Häuser auftreten, singen Sie dort andere Titel als – sagen wir – im Salzburger Landestheater.
Ja, das hat mit Respekt zu tun. Ich respektiere sie und ihre Regeln. Aber nur weil ich in eine katholische Kirche gehe, muss ich doch noch kein Katholik sein. Aber wenn ich dorthin gehe, dann lerne ich. Wenn die Schwester von Amalia Rodrigues, Celeste, sie ist jetzt 84, singt, ist das immer zum Niederknien. Aber ich gehe meinen eigenen Weg.

Sie haben mit vielen berühmten Literaten, darunter auch Nobelpreisträger, gearbeitet. Ein großer Teil Ihrer Kunst besteht darin, deren Worte in einen Fado zu gießen und so einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Ist es manchmal nicht ungemein schwierig Poesie in Liedgut zu verwandeln? Viele Gedichte eignen sich doch gar nicht dazu, gesungen zu werden.
Es gibt unheimlich gute Schriftsteller, die nie auch nur eine singbare Zeile geschrieben haben, weil sie keinen Bezug zu Tonalität, Metrik oder Silbenmenge haben. Dagegen wirkt Pessoas Poesie manchmal als habe er sie einzig zu dem Zwecke gesungen, in Fados gesungen zu werden. Aber auch viele deutsche Schriftsteller haben in regulärer Metrik geschrieben, die sich gut für eine Umsetzung eignen würde

Wäre das denn einen Versuch wert?
(lacht) Wahrscheinlich würde es literarisch besser passen als kulturell.
Doch zurück zu ihrer Frage: Einen toten Dichter kann ich bedauerlicherweise nicht fragen, ob er mir ein Lied schreiben möchte. Da sich nun, wie sie angedeutet haben, vieles nicht eignet, manches aber sehr gut, nehme ich aus dem einen Gedicht eine Strophe, aus dem anderen eine weitere, kombiniere, vertausche sie. Für mich ist das ein natürlicher Vorgang, aber leicht ist es sicher nicht und man kann es, denke ich, auch nicht lernen. Und dann gibt es Lieder, die sich mit vielen verschiedenen Texten singen lassen. Da finde ich einen Text, von dem ich glaube, dass er perfekt passt. Und dann, wenig später, stoße ich auf einen, der noch besser passt, ja der geradezu wie für ihn gemacht scheint. Ein Herumprobieren und Verwerfen, bis ich zur finalen Version durchstoße. Dieses Stöbern und Suchen nach Texten, ist es, was meinen Job ausmacht. Das ist doch viel besser als nur zu singen. Auf meinem nächsten Album werde ich nur Texte von weiblichen Schriftstellern singen.

Eine aktuelle Idee oder eine, die sie schon lange mit sich herum trugen?
Oh, die Idee hatte ich schon vor vielen, vielen Jahren, um zu zeigen, dass wir Frauen nicht nur Interpreten, sondern auch Autoren sind.

Sie sagten, Sie wollten Anthropologin werden. Wie kam es, dass sie dann letztlich doch Sängerin wurden?
Weil meine Mutter und meine Großmutter schon Künstlerinnen waren.

Aber dann wären das Tanzen oder das Schauspielerfach doch naheliegender gewesen…
Sie haben recht: Meine Mutter war Tänzern und keine Großmutter eine Vaudeville-Schauspielerin. Und auch ich habe mit dem Tanz begonnen und dann in Spanien ein Jahr lang sogar als Striptease-Tänzern gearbeitet, einfach, weil ich lange nicht wusste, was ich wirklich tun will. Wegen der Revolution habe ich mein Studium unterbrochen, ging nach Spanien. Und irgendwann kam dann der Moment, in dem ich wusste, dass ich Fado mache will und ich ging zurück nach Portugal.

Sind Sie mit Amalia Rodrigues aufgewachsen?
Natürlich. Zuhause regierte die Boheme. Da lief nicht nur klassische Musik, sondern viel von Amalia Rodrigues, Lola Flores. Und meine Mutter und meine Großmutter unterhielten sich nur über Theater und Kunst, sprachen kaum über etwas anderes.

Auf Ihrem letzten Album sangen Sie auch einige Cover-Versionen, darunter „Love will tear us apart“ von Joy Division.
Wenn man sich die Lyrics anhört und die Lebensgeschichte von Ian Curtis ansieht, dann ist das Fado im Sinne eines wirklich tragischen Schicksals. Alle Urheber der Originale, die ich darauf sang, hatten eine tragische Beziehung zum Leben. Wenn man sich ihre Leben ansieht, war es immer ein Lied (lacht). Das wäre wirklich ein guter Titel für eine Konzert-Tournee: „It´s all one song“!

Wir leben in Zeiten, in denen nicht immer klar ist, weshalb jemand tatsächlich berühmt ist. Man denke nur an Lady Gaga. Andererseits gibt es Künstler wie Sie oder Dona Rosa, die ihr letztes Hemd für ihre Musik geben, nicht für einen bestimmten Style. Glauben Sie, dass diese Art von Musik Gefahr läuft auszusterben?
Es gibt viele Dinge, die in Gefahr sind, verloren zu gehen. Und es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die den Menschen nicht unbedingt dabei helfen, intelligent zu sein und über sich und das Leben nachzudenken. Dazu zähle ich das Fernsehen. Da habe ich doch manchmal den Eindruck, wir bewegen uns nicht vorwärts, sondern rückwärts. Aber ich denke, dass Herz und Seele des Menschen diese Art von Musik immer brauchen werden.

Das klingt grundsätzlich sehr pessimistisch mit einem kleinen Funken Optimismus.
Genau so ist es. Am Ende des langen dunklen Korridors gibt es immer einen Funken Licht.

Vielen Dank für das Gespräch.