Gelassenheit und Euphorie

Christian Fennesz ist Österreichs Aushängeschild in Sachen avancierte elektronische Musik. Seine Solo-Arbeiten sorgen für internationale Furore, seine Kooperationen mit Mike Patton oder Ryuichi Sakamoto für jede Menge Gesprächsstoff. Der Versuch eines Portraits.

Besucht man Christian Fennesz in seinem Studio in der Wiener Neustiftgasse, muss man auch einiges an Zeit mitbringen: nicht, weil er einen warten ließe oder überdurchschnittlich mitteilsam wäre, aber sich alleine durch die Vielfalt der jüngsten Kollaborationen durchzuhören, an denen der Burgenländer beteiligt ist, braucht einfach seine Zeit. Dunkel und perfekt gedämmt präsentiert sich der Raum, in dem wir sitzen. Aktuelle Musikmagazine und Alben, die auf einem Tisch herumliegen, legen ein beredtes Zeugnis davon ab, dass sich Christian Fennesz nicht nur für die eigene, sondern auch die Musik anderer interessiert und ein frisch entzündetes Räucherstäbchen sorgt für angenehmen Geruch. Kurzum: Das Studio präsentiert sich als Ort der Ruhe und der Kraft.

Auch wenn der ständig zwischen Paris, Wien und dem Burgenland hin und her Pendelnde, wie er erzählt, in all seinen Wohnungen über kleine Heimstudios verfügt, in denen er Material sammelt und komponiert, fühlt er sich hier, in den Amann Studios, doch am wohlsten. Vielleicht, weil es der Platz ist, an dem er oft Tage und Wochen lang über die Qualität der einzelnen Stücke grübelt und seinen Solo-Alben den letzten Feinschliff verpasst. Vielleicht aber auch, weil er hier jene Anonymität und Ruhe findet, die er im Ausland, wo er durchwegs als Berühmtheit gilt, nie finden würde, die er aber so dringend braucht, um Arbeit abzuliefern, die seinen hohen Qualitätsanforderungen genügt.

Der Vier-Jahre-Rhythmus, in dem Christian Fennesz Solo-Alben zu veröffentlichen pflegt, legt die Vermutung nahe, dass der Entstehungsprozess ein mühsamer ist, dass ich hier jemand etwas abringt, das ihn selbst in hohem Maße beschäftigt und an die Grenzen des Möglichen bringt. Fennesz nickt bedächtig. „Dass es immer so lange dauert, liegt sicher an meiner Persönlichkeit“, meint er. „Weil ich so schwer mit etwas zufrieden zu stellen bin.“ Jedes Stück müsse sowohl als einzelnes Statement funktionieren als auch gegenüber den vorhergehenden Arbeiten bestehen können, ergänzt er. Deshalb falle es ihm auch wesentlich leichter, Kollaborationen zu verwirklichen. „Da habe ich deutlich weniger Skrupel, weil man immer auf einen zweiten Charakter trifft und die eigene Unsicherheit wie von selbst der Experimentierfreudigkeit weicht.“

 

Tatsächlich verstrickt sich Fennesz, wenn er nicht gerade an seinen Solo-Projekten tüftelt, die ihm nach wie vor das Wichtigste sind und in die er auch die meiste Zeit investiert, eigentlich ständig in die unterschiedlichsten Projekte: da wäre einmal die langjährige Kooperation mit Klangkünstler Ryuichi Sakamoto, die, wenngleich seine Einsätze immer mit dessen Piano-Klang spielen und daher von vorneherein eine klare Aufgabe erfüllen, seiner eigenen Arbeit von der Klanglichkeit vielleicht noch am nächsten kommt.

Da wären aber auch Kooperationen mit Mike Patton und Burkhard Stangl oder die aus österreichischer Sicht derzeit vielleicht interessanteste Zusammenarbeit mit David Sylvian, die mit dessen Album „Blemish“ schon vor Jahren Blüten von eigenartig beunruhigender, international anerkannter Schönheit trieb und nun im aktuellen Album des so eigenbrötlerischen wie genialen Briten mit dem Titel „Manafon“ seine Fortsetzung findet. Neben Fennesz wirken auf dem im September erscheinenden Opus Magnum auch Burkhard Stangl, Werner Dafeldecker und Franz Hautzinger sowohl improvisatorisch als auch kompositorisch mit.

 

Songwriting an der Grenze

Mehr in Richtung Pop geht die jüngste Zusammenarbeit mit Sparklehorse und seine Remixtätigkeit für Nine Inch Nails, Bloc Party und Renfro. Überhaupt scheint der bekennende Beach Boys-Fan keine Berührungsängste mit Pop oder Mainstream zu haben. Ganz im Gegenteil: „Ich finde es toll, wenn es mir erlaubt ist, in verschiedenen Bereichen tätig zu werden“, sagt er. Einmal, weil er immer wieder die Brücke dorthin schlagen wolle, wo er herkommt: aus der Pop- und Rockmusik nämlich, die er Jahre lang Bass und Gitarre spielend in einer Reihe Wiener Bands praktizierte und von deren Organik er auch immer wieder einiges in seine aktuellen Kompositionen einfließen lässt. Aber auch, weil es ihn immer interessiere, was produktionstechnisch im Mainstream passiere. „Die Produktion etwa eines Justin Timberlake ist extrem State of the Art. Es ist enorm faszinierend zu sehen, in welche Richtung jemand mit den gleichen Mitteln, die ich auch zur Verfügung habe, geht. Ich höre dann einen gewissen Reaktor-Synthesizer oder eine Granular-Synthese heraus und vollziehe in Gedanken genussvoll nach, wie das im Detail gemacht wurde.“ Auch der hartgesottene Remix von Bloc Party, der für den Dancefloor-Einsatz allerdings etwas zu ruppig ausgefallen sein dürfte, habe ihm glaublich viel Spaß gemacht. Dabei hat Fennesz die Musik der angesagten Briten nicht wie sonst üblich gnadenlos in seine eigene Richtung gepusht, sondern lediglich die Drums verstärkt und die Instrumente so lange verzerrt, bis sie wie eine Mischung aus MC5 und den Stooges klangen.

Ob er sich denn nicht auch manchmal als klassischer Songwriter fühle? „Nicht in erster Linie, obwohl das manchmal auch funktionieren kann…“, sagt er. Doch dann, nach längerem Nachdenken, setzt er nach: „Obwohl ich mich mit einer Größe wie Brian Eno nicht vergleichen will: Der hat auch klassische Songs geschrieben und nebenbei Soundcollagen gemacht so wie ich. Ist er jetzt ein Songwriter?“ „Wahrscheinlich schon“, entgegne ich. Fennesz: „Wenn man beides verbinden kann, dann bin ich ein Popkomponist an der Grenze zu…“ Pause. „…zu… irgendetwas anderem.“

Über Fennesz´ Veröffentlichungsstrategie könnte man zusammenfassend sagen, dass sie einem unbewussten Schema folgt: Er tobt sich allerorten in Kollaborationen unterschiedlichster Stilrichtung aus, befruchtet und lässt sich befruchten und sammelt dort Kraft für seine Solo-Arbeit, mit der er dann alle vier Jahre ein klares, künstlerisch eigenständiges Statement setzt.

 

Versteckte Melodien

Das Komponieren selbst bezeichnet Fennesz teils als improvisatorisches Suchen, das aus stundenlangem Herumspielen, Finden und Verfeinern besteht, teils als den Versuch, einen Melodiebogen oder eine fixe Klangvorstellung, die man im Kopf habe, zu rekonstruieren. Die Musik, die er etwa gemeinsam mit Sparklehorse geschrieben habe, sei klassisch komponiert. „Da spielen wir Songs.“ Und dann gäbe es da eben noch diese andere, experimentelle Sound-Design-Seite. „Beides soll existieren“.

 

Ganz unabhängig von der Herangehensweise, hat man bei klassischen Fennesz-Tracks oft den Endruck, dass die Musik aktives Zuhören erfordert, indem man Schicht um Schicht abtragen muss, um die versteckte Melodie, die immer da ist, aber irgendwo im Hintergrund lauert, frei zu legen. Wiederum nickt er bedächtig. „Mir geht es darum, dass alle Elemente in einem organischen Ganzen funktionieren. Für mich gibt es die Aufteilung in Rhythmus, Bass-Linie, Liedspur oder Harmonie- Background nicht. Ich kann das zwar auch, wenn ich es will, insofern gibt es das auch bei mir, aber das ist nicht mein Weg“, legt er sich fest. „Mir geht es darum, eine Klangwelt zu erschaffen, in der alles automatisch organisch beinhaltet ist: auch der Rhythmus, selbst wenn die Musik vordergründig keine Drums beinhaltet.“ Der Einfluss von Natur in Form von Field-Recordings, spiele dabei aber eine weit unbedeutendere Rolle als gemeinhin angenommen. „Meist sind das Sounds, die natürlich klingen, aber nicht natürlich sind. Rhythmus, Bass-Linie, ein Sound von hunderten oder alle hundert Sounds – alles ist gleichberechtigt, soll atmen und sich ständig verändern können. Genau das ist das extrem Schwierige und immer wieder eine riesige Herausforderung. Insofern bin ich auch immer noch am Suchen.“

Kraftvoll, aber friedlich

Sein eigenes Werk zu verorten, ist für Musiker immer besonders schwierig. Bis man die für ein wertfreies Urteil erforderliche Distanz gewinnt, dauert es nach der Produktion stets eine Weile. Fennesz will es in Rückblick auf sein jüngstes Solo-Werk „Black Sea“ mir zuliebe dennoch versuchen. Nachdenklich und als ob er noch einmal Für und Wider abwägen müsste, lässt er sich für seine Antwort auf die Frage Zeit. Letztlich meint er dann: „Eigentlich bin ich sehr zufrieden“, denn auch wenn die Musik vielleicht abstrakt wirken möge, was sie ja eigentlich nicht ist, sei das Album sehr persönlich geworden. „Wie alte Fotos, die man sich anschaut“ reflektiere es auf seine eigene Art die Zeit, in der er daran arbeitete. Jedes Album, so der gebürtige Burgenländer, werde von einer Grundstimmung getragen. „Wichtig war mir, eine gewisse Gelassenheit auszudrücken. Gleichzeitig ist aber immer auch die Erinnerung an vergangene Euphorie präsent.“ Gerade das letzte Stück „Saffron Revolution“, das sich thematisch auf die Revolution der Mönche in Myanmar bezieht, bilde diese Dualität besonders gut ab: „Extrem kraftvoll, aber friedlich. Düster, aber nicht hoffungslos.“ Es gäbe also gleichberechtigt immer beide Kräfte. Insofern führe das Cover mit seiner dunklen bis trostlosen Optik auch ein wenig in die Irre. Und das sei so auch nicht geplant gewesen, erzählt er. Der ursprüngliche Entwurf, den einer interner Label-Politik bei Touch folgend immer Art-Director John Wozencroft bestimmt und der kräftigere Farben vorgesehen hatte, habe man aus printtechnischen Gründen verwerfen müssen. Es folgte eine ewig lange Diskussion, an deren Ende das jetzige Cover stand. „Ganz glücklich bin ich damit immer noch nicht, weil es mir zu eindeutig ist und zu klar eine Richtung vorgibt.“ Irgendwie fühle ich mich, der in seiner Rezension von „düsteren Drones“ schrieb und das Album als ein „Where The Streets Have No Name der Kunstmusik“ bezeichnete jetzt schon ein wenig ertappt. Dass Fennesz selbst das Album dann aber als wesentlich abstrakter als „Endless Summer“ bezeichnet, das für sein Dafürhalten schon Experimental-Pop war, versöhnt mich dann wieder ein bisschen. Aber sowohl „Black Sea“, fährt er fort, als auch „Endless Summer“ seien für seinen Geschmack beide schon sehr konkret geraten.

 

In Ruhe arbeiten

Womit wir beim Geschmack angekommen wären. Und diesbezüglich muss man am Beispiel Fennesz einfach über den Unterschied zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung sprechen, der die österreichische Popmusik und ihre Wirtschaft – falls es eine solche überhaupt noch gibt – seit jeher definiert. Und so erzähle ich ihm, dass im Museums-Shop der PS1 in New York genau drei österreichische Alben erhältlich sind, die alle drei von ihm stammen, während ich eine Woche später nicht schlecht staunte, als ich feststellen musste, dass man im Museumsquartier noch immer auf 90er-Jahre-Elektronik der bekannten Wiener Vertreter setzt. Für mich, so erzähl ich ihm, sei das ein Pars pro Toto, denn Tatsache sei, dass es in Österreich kaum Künstler gibt, die international so erfolgreich sind wie er. Tatsache sei aber auch, dass die Berichterstattung über sein neues Album – einmal abgesehen von zwei, drei kleinen Rezensionen und einem Artikel – schlichtweg nicht stattfinde.

 

Darüber, warum er hierzulande so wenig wahrgenommen werde, kann freilich auch Fennesz nur Mutmaßungen anstellen. Vielleicht sei es die allgemeine Haltung, wonach jemand, der von hier kommt, unmöglich so erfolgreich sein kann, meint er. Oder aber es habe immer noch mit der unsäglichen Trennung zwischen E und U zu tun, die er nach wie vor als ein Riesenproblem empfindet. Eine Spekulation, die Sinn macht: Zufälligerweise nämlich sind jene Länder, in denen Fennesz von Anbeginn an am wenigsten Erfolg hatte – Österreich, Deutschland und die deutschsprachige Schweiz – in etwa auch deckungsgleich mit jenem Raum, der eine Trennlinie zwischen E und U zieht. Und genau diese Trennung lässt es ja auch nicht zu, dass man die Musik von Fennesz als „nicht so abstrakt“ wahrnehmen könnte.

 

Während er in England con Opernhäusern bis Clubs so ziemlich überall und auf einem anstehenden Festival vor einem Mainstream-Acts wie Little Boots und nach Toumani Diabaté spielt, ist der Kontext hierzulande stets ein viel straffer festgelegter. „Der konservativste Hörer ist doch immer noch der Indie-Mann“, lacht er.

 

Der Umstand aber, hier anders oder gar nicht wahrgenommen zu werden als in den Ländern, in denen er besonders erfolgreich ist, erzählt, Fenesz, ärgert ihn aber schon lange nicht mehr. Wenn ihm auf dem Weg zu einem Österreich-Auftritte vom Taxi-Fahrer stolz erzählt wird, wer dort aller vor und nach ihm auftrete, er selbst aber unerkannt bleibt, bringt ihn das eher zum Schmunzeln. Umso mehr, wenn es sich dabei auch noch um Namen handelt, die er vom gemeinsamen Musizieren kennt.

Aber Ärger? Nein, letztlich sei es schön, hier in Ruhe arbeiten zu können.

„Je bekannter man ist, desto mehr Verpflichtungen hat man doch auch.“ Und mit irgendwelchen Leuten herumhängen zu müssen, interessiere ihn gar nicht. „Meine Arbeit ist außerhalb Österreichs. Dort passiert sie. So schnell wird sich das auch nicht ändern.“ Und das sei auch gut so.

 

Ein E für ein U?

Noch einmal zurück zur unsäglichen Trennung zwischen E und U. Was Fennesz mit aktuellen Strömungen innerhalb der Neuen Musik in Wahrheit verbindet, ist seine glühende Begeisterung für verschiedene Raumklänge. Vor allem die Verbindung von klassischen Mikrophonaufnahmen in speziellen, eigentümlichen Räumen mit synthetischen Klängen hat es ihm angetan und wird, so erzählt er, auch die Entstehung des nächsten Solo-Albums prägen.

 

„Ich habe vor, nach speziellen Räumen zu suchen, dort akustische Instrumente einzuspielen und von Tontechnikern, die normal mit Orchester arbeiten, aufnehmen zu lassen, gleichzeitig aber auch elektronische Instrumente im Raum aufzunehmen und diese dann noch einmal zu mikrophonieren. Es geht um Künstliche, durch Software hergestellte Räume und Faltungshall.“ Die Symbiose ist es, die ihn reizt: Künstliche, virtuelle, durch „Physical Modelling“ hergestellte Instrumente mit den vorbestehenden Aufnahmen zu kombinieren. Wie bei allem, was Christian Fennesz anpackt, darf man auch auf diesen Output gespannt sein.

 

Wie fasst man all das, was Christian Fennesz während eines langen Interviews, das immer wieder durch intensive Listening-Sessions unterbrochen wird, gesagt hat, am besten zusammenfassen? Am ehesten vielleicht so, dass hier jemand ist, der Kunst macht, unwichtige Politik ausblendet, wichtige Politik (wie in Saffron Revolution) in seine Arbeit einfließen lässt und den das Gerede über den Wandel oder Niedergang der Musikindustrie keinen Deut interessiert. „Bei uns ist alles OK. Touch geht es besser denn je zuvor. Und ich denke, dass es jenen Leuten, die künstlerisch arbeiten, auch gut gehen kann, weil es mit der Industrie und ihrem Status Quo nichts zu tun hat. Touch-Hörer kaufen CDs, Vinyl, DVDs, Vinyl und sogar Prints. Feingeistige Sammler sitzen überall auf der Welt.“

Was ihn mit David Sylvian verbindet ist, dass er wie dieser immer wieder neue Stile aufgreift und sich zu seinen Nutzen dienstbar macht. Wahrscheinlich aber wird auch diese sensationelle Kooperation hierzulande niemanden vor dem Ofen hervorholen, womit ein weiteres Kapitel der musikalischen Ignoranzgeschichte Österreichs aufgeschlagen wäre.