Suchen, verwerfen, scheitern

Spätestens seit dem Überraschungserfolg von „Toni Erdmann“ ist Sandra Hüller der Rising Star unter den deutschen Schauspielerinnen. Trotz großer Kinorollen wie zuletzt im Blockbuster „Fack ju Göhte“ bleibt die Schauspielerin aber ihrer großen Leidenschaft, dem Theater, treu. Im Sommer spielt sie bei den Salzburger Festspielen die Penthesilea.

Ein Gespräch über Kleist, Kapitulation und unbedingten Respekt.

 

Ganz ehrlich: Was war Ihre allererste Reaktion, als Ihnen die Rolle der Penthesilea angeboten wurde? Unspielbar? Große Herausforderung?

Ehrlich gesagt hab´ ich mir das schon lange gewünscht. Regisseur Johan Simons und ich wussten nur noch nicht, in welchem Rahmen und mit welchem Partner das stattfinden könnte. Dann hatte er diese Idee und ich bin ihm sehr dankbar dafür. Es ist ein großes Glück. Unspielbar würde ich nicht sagen. Ich glaube, man muss wie immer bei Kleist einfach schauen, dass man die spannendste Ebene findet.

Die wäre?

Das ist noch schwer zu sagen. Es hat allerdings sicher nichts mit Kampfgetümmel zu tun. Darum geht es uns gar nicht.

Warum war es ein großer Wunsch?

Ich finde das eine der ungewöhnlichsten, stärksten und geheimnisvollsten Frauenfiguren, die es überhaupt gibt. Ich bin Kleist auch sehr dankbar, dass er sie erschaffen hat, weil sie in überhaupt kein Muster passt und so widersprüchlich ist. Sie nachzuvollziehen ist unfassbar harte Arbeit. Vielleicht muss ich das ja in Bälde auch aufgeben, aber ich will es auf jeden Fall versuchen.

Angesprochen auf Filme über die DDR haben sie einmal gesagt, im Gegensatz zu all den Komödien oder Weichzeichner-Portraits müsste man mal etwas über eine innere Welt erzählen, wie klein oder groß die ist, und über „eine bestimmte Hoffnung auf ein anderes Leben.“ Das fand ich sehr schön. Wie ist die innere Welt der Penthesilea beschaffen? Wie klein oder groß ist sie?

Das ist eine Frage der Perspektive, finde ich. Auf der einen Seite ist sie sehr klein, weil sie sich nur mit Kampf beschäftigt und damit, wie es funktioniert zu gewinnen. Auf der anderen Seite ist sie sehr groß, weil sie sich mit den gesetzten Verhältnissen nicht zufriedengibt. Das ist durchaus eine Frau, die sich bestimmten Regeln, die von außen an sie herangetragen werden, erst einmal widersetzt. Das find ich alles andere als klein.

Sie ist nicht bereit ist, das herkömmliche Rollenbild anzunehmen. Lieber vernichtet sie und wird vernichtet. Ist das beklagenswerter Mangel an Kompromissbereitschaft oder bewundernstwerter Ausdruck von Selbstbestimmtheit?

(lacht) Ich würde das anders sehen. Sie will ihn ja genauso unterwerfen wie er sie. Das ist die Crux dieser Verbindung, dass sie sich so ebenbürtig sind und keiner von ihnen zurücktreten kann. In dem Moment, in dem sie sich vereinen, geschieht das ja durch eine Lüge, weil Achill verschweigt, dass er sie überwunden hat. Dann veröffentlicht er es aber doch. In der Urlüge steckt schon das Scheitern drin. Er glaubt, ihr nicht sagen zu können, dass sie ihm unterlegen ist. In dem Moment, in dem sie sagt: „Du kommst mit mir, du bist mein Mann“, antwortet er: „Nein, es ist genau umgekehrt. Du kommst schön mit mir, weil ich dich besiegt habe.“ Und da fängt der große Streit an. Die Idee: Dann gehen wir aufs Schlachtfeld und fechten es ebenbürtig aus. Nur: Er nimmt ja ihren Vorschlag gar nicht an. Er meint, da erst mal unbewaffnet hinzugehen. Nach dem Motto: „So ernst wird die das schon nicht meinen“. Und das ist genau das, was zur Katastrophe führt, weil sie es sehr wohl so meint und zwar bis zum Tod. Zwischen den beiden gibt es ein großes Missverständnis. Die Ebenbürtigkeit ist der Niedergang.

Glauben Sie dass diese Ebenbürtigkeit auch der Grund dafür war, dass das Stück lange als unverstanden galt.

Ich weiß nicht, ob man das überhaupt verstehen kann. Es ist sehr kompliziert. Ich weiß auch nicht, ob es uns gelingen wird, die beiden Positionen nachvollziehbar zu machen. Aber wir machen uns jetzt mal auf den Weg und versuchen es. Und wenn es uns gelingt, erzählen wir ganz generell etwas über Verbindungen und über Menschen, die keinen Schritt hinter sich zurücktreten können und wollen.

Die Neuinszenierung von Johan Simons wird das Drama auf nur zwei Akteure beschränken: Penthesilea und Achilles. Duell und Duett. Das stelle ich mir angesichts des gewaltigen Anteils an Mauerschau und Botenberichten schwer vor…

Mal sehen. In unserer Fassung ist es so, dass sich die beiden ihre Geschichte erzählen. Alle Botenberichte werden von uns jeweils aufgeteilt gesprochen oder gespielt – je nachdem.

Gerät man da nicht an seine Grenzen? Es gibt ja auch Dinge, die nur berichtet werden, weil sie so grausam sind oder einen an die Grenzen des Darstellbaren bringen. Die Unterwerfung, die Grausamkeit einer Tötung. Wie geht man damit um?

Am Theater, finde ich zumindest, fängt alles in Gedanken an. Wenn ich es schaffe, einen Gedanken groß genug zu machen, ist er sichtbar und fühlbar und verbindet uns. Ich brauche da nicht unbedingt ein Bild. Und an die Grenzen geraten wir sowieso, weil bei Kleist – das ist beim Prinz von Homburg so, das ist beim Gretchen so – die Gedankenräume, in denen er sich aufgehalten hat, so reich und so komplex sind und da so viele verschiedene Perspektiven dran kleben, dass man sich immer nur für eine von vielen verschiedenen Sichtweisen entscheiden muss, von der sich mit hoher Wahrscheinlichkeit herausstellt, dass es die falsche war.

Ist es das, was Sie an Kleist so fasziniert?

Ja, es ist der andere Blick sozusagen. Meiner Meinung nach hatte er einen ganz starken Glauben an eine andere Welt. Für mich ist das auch nie kitschig. Aber da kommen wir in Bereiche, die sehr schwer zu beschreiben sind, ohne dass es lächerlich wirkt. Die Arbeit, die er sich gemacht hat, Figuren so komplex zu gestalten und Geschichten so komplex zu erzählen, dass man sie auch nach ein paar Mal Lesen nicht erschöpfend ergründen kann, ist einfach großartig und liegt für mich persönlich tatsächlich noch vor Shakespeare.

Sie haben einmal Courtney Love verkörpert und zeigten sich davon begeistert wie sie mit ihrer Wut umgeht und wie sehr schnelle Wechsel in ihrer Persönlichkeit verankert wären. Macht sie das einer Penthesilea ähnlich? Die wechselt auch in Sekundenbruchteilen von tödlicher Betrübtheit zur Raserei und zurück?

(denkt lange nach) Wenn es eine Musik gibt, die etwas mit Penthesilea zu tun hat, dann wäre es so eine, wie sie Courtney Love zu ihren besten Zeiten gemacht hat, ja. Aber sie hat letztlich mehr Angst vor dem Tod als Penthesilea. Insofern sind die beiden dann doch sehr verschieden.

Denken Sie, es ist auch ein Stück über den Rückzug, der nur ein vermeintlicher sein kann, weil unser Leben auf Schritt und Tritt von Kampf durchdrungen ist und wir uns dem nicht entziehen können, so sehr wir auch wollen?

Wenn ich mich so umschaue in meinem Umfeld, dann ist in den meisten Beziehungen dieser Kampf um das eigene Recht, den eigenen Raum, die eigenen Egos stark ausgeprägt. Wer arbeitet mehr, wer verdient mehr Geld, wer macht den Haushalt? Dieses ganze Aushandeln.

Da hab´ ich schon mehr und mehr das Gefühl, dass es keine Selbstverständlichkeiten mehr gibt. Aber es gibt da noch eine andere Ebene: Den unbedingten Respekt voreinander, und das hat dann eben nichts mit Kampf und nichts mit Ego zu tun.

Und der Respekt ist zu wenig vorhanden?

Der geht weg, weil jeder schaut, dass er seine eigenen Schäfchen ins Trockene bringt. Wenn man sich wirklich verbindet, dann erledigen sich manche Dinge ganz von selbst. Glaube ich zumindest. Wenn ich davon ausgehe, dass man sich auch verbindet, um gemeinsam und über sich hinaus zu wachsen und in eine andere Richtung als vorher – sonst macht die Verbindung ja gar keinen Sinn – dann kann ich nicht darauf bestehen, was ich vorher immer gemeint und gemacht habe.

„Alle, die die Liebe suchen, sie müssen kapitulieren“, sangen Tocotronic in ihrem Hit „Kapitulation.“ Und: Alle, die die Liebe finden, sie müssen kapitulieren.“ Ist es

tatsächlich so trostlos?

Ganz und gar nicht. Für mich hat das Lied ganz viel mit Hingabe und Akzeptanz einer Situation zu tun, die man einfach nicht ändern kann.

Ist es nicht ein Zeichen der Zeit, eher schnell mal die Waffen zu strecken als wirklich für etwas zu kämpfen – sei es in der Liebe oder Politik?

(zitiert) „…und wenn Du traurig bist und einsam und allein. Wenn Du denkst, Fuck it all, wie soll es weitergehen?“ Da geht es doch erst mal darum, die Situation so zu lassen wie sie ist, sie sich genau anzuschauen. Man kann doch nicht im permanenten Kampfmodus herumlaufen. Wo soll das denn hinführen. Es gibt doch genug Krieg auf der Welt.

Einerseits spielen Sie im Blockbuster „Fuck ju Göhte“, dann auf der Bühne der Salzburger Festspiele. Viele finden das extrem. Ist es wohl auch. Wollen Sie bei all dem Erfolg im Kino denn das Theater beibehalten? 

Jaja, auf jeden Fall. ich brauche das Theater ganz dringend. Es geht nicht ohne.

Warum?

Ich brauche diese Auseinandersetzung, die eine andere ist als im Film. Den Prozess der Arbeit, die Suche, das Verwerfen, das Scheitern. Das Finden der Essenz. Beim Film muss das erst mal viel schneller gehen und man macht es alleine und viel intuitiver: Ich kann da nur reinspringen und schauen was passiert und darauf vertrauen, dass mein Körper und meine Seele schon das Richtige machen werden. Auch toll. Aber um wirklich an einem Gedanken dran zu bleiben, ist das Theater geeigneter.

Sie verehren Jeanne Moreau und waren sehr traurig, als sie gestorben ist. Was konnte sie, was andere nicht können?

Was ich an ihr mochte, war diese Abgeschlossenheit und dass sie überhaupt nicht versucht hat, jemandem zu gefallen. Zumindest hatte ich den Eindruck. Sie war auch in dem, was sie gemacht hat, sehr ernst. Und kompromisslos. Das hat mir gefallen. Natürlich gibt es da noch diese große Melancholie, die sie ausgestrahlt hat. Die hat mir auch gefallen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Sandra Hüller (39) ist eine deutsche Schauspielerin. Ihr Filmdebüt gab sie in der Hauptrolle von Hans-Christian Schmids „Requiem“. 2012/2013 wurde sie zur Theaterschauspielerin des Jahres gewählt. Für Toni Erdmann erhielt sie den europäischen Filmpreis als beste Hauptdarstellerin. Sie lebt in Leipzig.