„Die Computer geben uns die Freiheit“
Pianist Bugge Wesseltoft war einer der ersten, der Jazz mit elektronischer Musik kurzschloss – eine Mischung, die auch heute noch, zwanzig Jahre später, besten funktioniert. Beim Salzburger Jazzfestival Jazz& the City stellt er sein neuestes Album „Bugge & Friends vor“.
Fast zwanzig Jahre ist es her, dass sie mit Ihrer „New Conception Of Jazz“ für Furore sorgten, indem Sie Jazz mit elektronischer Clubmusik mischten und damit einen Trend einläuteten. Wenn Sie zurück schauen: Wie viel der damaligen Euphorie von damals ist heute noch da?
Elektronische Musik ist immer noch frisch, interessant und bereichernd. Ständig erscheinen neue Musiker auf der Bildfläche. Und man braucht sich nur die Charts anzuhören, um festzustellen, dass elektronische Musik nicht nur den Jazz, sondern auch den Pop revolutioniert hat. Laptops sind heute längst gleichberechtigte Instrumente. Und die Möglichkeiten sind längst noch nicht ausgeschöpft.
Sie haben mal gesagt, das Anziehende an der Clubszene damals sei gewesen, dass das Publikum die Musik feierte, indem sie tanzte und nicht artig nach einem Solo klatschte.
Für mich war das damals einfach alles viel dynamischer als Jazz, und ist es auch heute noch. Ich war unheimlich fasziniert von elektronischen Sounds, hörte unheimlich viele Platten…
Sie waren aber doch auch nie ein Musiker, der sein Spiel auf ein kunstvolles Solo anlegte. Ging es in Ihrer Musik nicht von Anfang an eher um Stimmungen?
Ja und nein. Henrik Schwarz und ich (etwa auf dem Album „Trialogue“, Anm.) nutzen die Elektronik auch als Improvisationsinstrument, nicht als reine Kulisse.
Das heißt, es geht auch innerhalb der elektronischen Musik um Improvisation, nicht aber im Sinne eines klassischen Saxophonsolos, sondern mehr als eine kollektive Improvisation, innerhalb derer wir vor Ort verschiedene Stimmungen und Dynamiken entwickeln. Es geht darum, Energie und Seele der Musik zu erfassen und sich forttragen zu lassen.
Was war aus Ihrer Sicht so speziell an dieser Ära Anfang der 1990er Jahre?
Detroit Techno hat alles verändert. Sie müssen sich vorstellen: Wir kamen aus Norwegen. Niemand kannte uns, und wir kannten niemanden. Und dann traf man plötzlich Carl Craig, Eric Truffaz und St. Germain. Viele DJs fingen an, mit Musikern gemeinsame Sache zu machen und umgekehrt. Daraus entstand eine große Community. Und etwas anderes ergab sich daraus: In den 1990ern waren die europäischen Clubs und Festivals zu 90% von US-amerikanischen Acts dominiert. Heute hingegen ist es völlig normal, auch viele europäische Namen zu haben. Das ist dieser Zeit, diesem Aufbruch geschuldet. Ich bin sehr stolz, dass ich Teil dieser Bewegung sein durfte.
Ihr neues Album “Bugge & Friends” versucht genau diesen Spirit einzufangen?
Genau. Es war als eine Art „Tribute“ gedacht. Eine Verneigung vor elektronischer Dance Music, aber auch eine Verneigung vor diesen tollen Musikern, die mir im Laufe meines Lebens über den Weg gelaufen sind: Eric Truffaz, Beady Belle, Ilhan Ersahin, um nur einige zu nennen. Gemeinsam wollten wir ein Album lang diesen Musikstil beschwören, den wir alle so schätzen.
Mit einigen dieser Musiker verbindet Sie eine lange Freundschaft. War das speziell, plötzlich wieder gemeinsam im Studio zu stehen?
Ja, Truffaz etwa war einer der ersten außerhalb Norwegens, mit dem ich zusammen arbeitete. Wir kennen uns so lange… Ilhan Ershahin kenn ich „nur“ zehn Jahre. Ihn traf ich in Istanbul. Dann haben wir in New York gemeinsam gejammt. Das war schon besonders, nach all den Jahren zusammen wieder zu kommen und eine Platte einzuspielen.
Die Musik des Albums kommt sehr leichtfüßig daher. Es klingt, als hätten alle Beteiligten Spaß daran gehabt.
Ich glaube, das liegt daran, dass wir das Album größtenteils live eingespielt haben. Dadurch fühlt es sich organisch an. Es entstammt zwar der gleichen Welt wie meine anderen Sachen. Aber es ist mehr im Nachtclub verortet, hat mehr „Good Vibrations“ als meine sonstigen Sachen.
Hat sich denn die Art und Weise, wie Sie mit elektronischer Musik in Berührung kommen, geändert? Ich meine, man wird älter, hat Familie… Oder hängen Sie immer noch in Clubs ab und schlagen sich dort die Nächte um die Ohren?
(lacht) In Oslo gab es diesen fantastischen Club namens Blå, und es gibt ihn immer noch. Als mein Sohn neulich anfing dort zu arbeiten hab ich zum ersten Mal gemerkt, dass ich wohl alt geworden sein muss. Aber ich gehe immer noch gerne hin, wenn auch nicht mehr so oft wie früher. Und ich gehe auch auf Festivals.
Viel interessantes Zeug entdecke ich durch meine Kinder. Und natürlich hat es uns das Internet enorm erleichtert musikalisch am Puls der Zeit zu bleiben.
Es gab und gibt außergewöhnlich viele norwegische Jazzmusiker, die elektronische Musik für sich entdeckten. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Schwer zu sagen. Wir hatten eine einzigartige Szene in Oslo, die sehr offen gegenüber neuen Strömungen war. Klassische Musiker, Djs… Und es waren immer diese offenen Szenen, die andere Stile zugelassen und für ihre eigenen Sachen genutzt haben, die besonders kreativ waren. Denken Sie an New York in den 1070ern: Free Jazz, Drones, Disco, Latin Fusion, Rap. All das passierte zeitgleich. Oberste Priorität, wenn du etwas bewegen willst, ist die Offenheit. Nur dann, wenn du bereit bist, deine Sachen mit denen anderer Leute zu verschmelzen, wird etwas Neues passieren. Aber als ich nach Frankreich kam, habe ich dort eine genauso offene Szene kennen gelernt. Und es ist wunderbar zu sehen, wie sich auch die deutsche Szene und auch die österreichische geöffnet haben. Da passiert einiges.
Ihre Solo-Alben, die Zusammenarbeit mit Henrik Schwarz, die New Conception – es scheint. Als bräuchten sie viele Projekte, um glücklich zu sein.
Ich betrachte das immer aus der Publikumsperspektive: Wenn der Wesseltoft immer das Gleiche machen würde, in ein und demselben Stil fest stecken würde, wäre das doch langweilig. Wieso sollen wir uns den Typen dann so oft ansehen?
(lacht) Im Kern aber ist es immer der Mix aus akustischem Klavier und elektronischer Musik. Das ist es, was mich fasziniert.
Was erwartet das Publikum in Salzburg?
Bugge und seine Freunde. Ich freue mich schon sehr darauf. Die einzelnen Songs dienen als Schablone, als Vorlage, um etwas neues draus zu machen. Manchmal nehmen wir Elemente verschiedener Songs und fügen sie zu etwas völlig Neuem zusammen. Dank der Computer können wir so frei sein. Die Computer geben uns diese Freiheit.
Sie betreiben nebenbei auch ihr Label „Jazzland“. Wieso tun Sie sich diese Zusatzbelastung nach all den Jahren und neben all ihren Projekten noch an?
Das ist schon stressig, ja. Aber ich sehe das auch als Teil von mir. So bin ich eben. Wissen Sie, ich mag es, Teil von etwas zu sein, das größer ist als ich. Deshalb bringe ich Platten raus, unterstütze andere Musiker. Es geht darum, die eigene Leidenschaft mit anderen zu teilen. Zu spielen ist nur ein Aspekt davon.
Vielen Dank für das Gespräch.