Raus aus dem schwarzen Loch

 

Als sie binnen kürzester Zeit Vater, Mutter und den Bruder verliert, entscheidet sich Adele Neuhauser, ihr Leben aufzuschreiben. Ein guter Entschluss, denn „Ich war mein größter Feind“ ist trotz mehrerer Selbstmordversuche in ihrer Jugend und der jüngsten Schicksalsschläge ein äußerst positives Buch geworden. Voll Zuversicht blickt die Schauspielerin in die Zukunft, weil sie sich auf das freut, was noch kommen wird. Das Neue, Ungelebte.

 

Mit Vision. Salzburg sprach sie darüber, wie man Frieden mit der Vergangenheit schließt und die eigenen Schwächen für den Beruf nutzt.

 

 

Viele Biographien sind nostalgische Rückschau. Bei Ihrer gibt es auch alte Fotografien und Tagebucheinträge zu sehen, aber das Buch ist insgesamt doch sehr nüchtern, schonungslos und zukunftsorientiert. War das eine bewusste Entscheidung?

Ja, das war eine ganz bewusste Entscheidung. Ich wollte nach den Schicksalsschlägen der letzten beiden Jahre anfänglich fast nicht mehr weiterschreiben, weil ich die Befürchtung hatte, es könnte möglicherweise eine zu bedrückende Lektüre werden. Doch dann wurde mir erneut bewusst, dass das Buch auch eine Chance für mich ist. Nicht nur, um das Geschehene zu verarbeiten.

Das Aufschreiben Ihrer Erinnerungen habe Sie verändert, schreiben Sie. Inwiefern? Wird man gegenüber dem Geschehenen, wenn es einmal schwarzweiß vor einem steht und man es noch einmal durchlebt, und dadurch auch sich selbst gegenüber milder?

Ich habe beim Aufschreiben vieler schmerzlicher Dinge einerseits gelernt loszulassen, aber auch die guten und schönen Seiten entdeckt. In gewisser Weise habe ich den Frieden mit mir und meiner Vergangenheit gemacht. Ich wusste schon, bevor ich zu schreiben anfing, rein abstrakt, dass ich vieles erledigt und überwunden hatte. Wie zum Beispiel meine depressive Phase in meiner Jugend. Aber durch das Hinschreiben hab´ ich es nochmals auf heilsame Weise gefühlt.

Sie haben sechs Selbstmordversuche verübt und erzählen in aller Offenheit davon. Schließlich sei das ein Teil Ihres Lebens, den Sie nicht verleugnen wollen, schreiben Sie. Das klingt einfacher als diese Entscheidung wohl gewesen sein muss. Wie lange mussten Sie dafür mit sich ringen? Und: Hat Sie jemand bei dieser Entscheidung unterstützt?

Ich hatte ja schon vor einigen Jahren offen über meine dunkle Phase gesprochen, in der Hoffnung anderen vielleicht zu helfen, die sich in einer ähnlich ausweglosen Situation befinden. Ich wollte Ihnen zeigen, dass man sich überleben kann und auch gestärkt aus diesem schwarzen Loch herauskommen kann. Die vielen Reaktionen, die ich damals erhalten habe, zeigten mir, dass es richtig war, offen darüber zu reden. Ich habe diese Entscheidung ohne großes Ringen und für mich alleine getroffen.

 

Sie beschreiben Schauspiel als Möglichkeit, dem eigenen Ich zu entkommen. Gab Ihnen die Schauspielerei den Halt, den Sie im Leben vermissten, indem Sie sich „an den Figuren anhielten“, wie Sie das einmal so schön beschreiben?

Ja. Ich konnte durch das Verkörpern anderer Charaktere vieles über andere und auch schwierige Schicksale lernen und durchleben und so verloren meine eigenen Umstände an Grausamkeit. Im Gegenteil, meine Erfahrungen mit mir machten mein Spiel reicher. So lernte ich, dass mich meine Schwächen im Leben stark für meinen Beruf machten.
Wie fühlt sich die Rückkehr ins eigene Leben nach dem Ende des Applauses an?

Man kehrt genährt und gestärkt zurück, sehnt sich aber auch doppelt und dreifach nach der nächsten Vorstellung.

In einer Episode beschreiben Sie Ihre Leidenschaft und Hingabe fürs Theater anhand Ihrer Abneigung gegen jede Art von Ablenkung. Es hat sie immer geärgert, wenn Sie Leute, die gerade nicht auf der Bühne waren, teilnahmslos erlebten, weil das Besondere nur aus einer kollektiven Energie „und nur dann entstehen kann, wen alle daran glauben und auch tatkräftig daran mithelfen.“ Hat dieser Idealismus über all die Jahre, in denen Sie auf der Bühne oder vor der Kamera wirken, gelitten, oder ist er ungebrochen?

Ich bin bis heute der Meinung, dass reiche Theatererlebnisse für die Agierenden, wie auch für das Publikum nur dann entstehen, wenn dieser Geist über dem Abend schwebt. Aber ich bin mittlerweile milder geworden und lasse auch andere Konzepte gelten.
Als Rollen bevorzugen Sie „die wahrhaftigen Charaktere, die jenseits der Fiktion von Sauberkeit, Perfektion und einem bruchlos gelungenen Leben angesiedelt sind“. Wird das Auffinden solcher Rollen nicht zunehmend schwerer, wenn sogar im Tatort aus neuer Korrektheit nicht mehr geraucht und auch kein Bier getrunken werden darf?

Gute Stoffe waren immer schon rar und schillernde Charaktere, besonders für Frauen, ebenso. Aber die Lust am Geschichten erzählen ist groß und so suche ich mit großer Zuversicht weiter.

Die einzigartige Kraft des Schauspiels liege darin, Tote wiederauferstehen zu lassen, sagen Sie. Klingt nach inniger Liebe. Vermissen Sie diesen mystischen Ort Theater nicht manchmal sehr? 

Ja ich vermisse das Theater! Sehr sogar. Aber es wird wieder der Zeitpunkt und das richtige Stück kommen. Da bin ich sicher.

Apropos Mythos: Sie haben einmal die Callas gespielt. Wie nähert man sich solch einer mythischen Figur?

Mit großer Hingabe und Ehrfurcht. Ich habe sie aus den verschiedensten Filmdokumenten und Interviews bis in die kleinste Geste studiert. Das war fast eine detektivische Arbeit, aber sehr inspirierend und aufregend.
Sie haben eine tiefe Verbindung mit Griechenland, ihr Vater war Grieche, Sie sind teils dort aufgewachsen und bezeichnen Amorgos als Ihre zweite Heimat. Was lieben Sie an Griechenland?

(seufzt) Alles. Die Natur und die wunderbaren herzlichen Menschen.

Wie ging es ihnen, als das Land in der Schuldenkrise war und förmlich in die Knie gezwungen wurde?

Es hat mich wütend und traurig gemacht. Aber jetzt muss man nach vorne schauen und versuchen, die Fehler der Vergangenheit zu reparieren und jungen Menschen Mut machen, sie in ihren Ideen unterstützen, damit sie nicht gezwungen sind, das Land zu verlassen.
An Deck eines griechischen Fährschiffes Studenten haben Sie beim Singen der damals verbotenen Lieder von Mikis Theodorakis gelauscht und Sie haben die russischen Panzer mit eigenen Augen durch die Straßen Prags rollen sehen. Wie prägen einen solche Erlebnisse politisch?

Zumindest hat mir das Erlebte gezeigt, in welch bedrohliche Situationen falsche Politik ein Volk stürzen kann. Dass es großer Zivilcourage bedarf, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Und dass wir alle verantwortlich sind!
Würden Sie sich heute immer noch als politischen Menschen bezeichnen?

Sicher bin ich ein politischer Mensch. Ich versuche mit meinen Mitteln auf untragbare Situationen aufmerksam zu machen.

 

Was bringt Sie auf, ärgert Sie an der heutigen Politik?

Besonders ärgert mich, wie Angst und Hetze betrieben werden und sich der allgemeine Ton verändert und Respektlosigkeit immer mehr zum Alltag gehören.

Heiner Müller hat einmal gesagt, Voraussetzung für lebendiges Theater sei ein gewisser Überschuss an krimineller Energie. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Ich würde lieber den Künstler Horst Janssen zitieren wollen, der meinte: „ Wen die Götter lieben, den lassen sie spinnen.“
Vielen Dank für das Gespräch.