Kaffee und Einsamkeit

Torun Eriksen ist eine der Headliner des diesjährigen „Jazz & the City“-Festivals. Wie kaum jemand anderer versteht es die norwegische Sängerin Elemente des Jazz, Pop und Chansons miteinander zu verschmelzen und zu einer eigenen Kunstform zu erheben. vision.salzburg verriet sie, wie man sich das Herz aus dem Körper singt und den norwegischen Winter überlebt.

 

Es gibt Lieder, die sind so intim und direkt zugleich, dass sie einem förmlich das Herz zerreißen. Der Titelsong ihres aktuellen Albums, “Grand White Silk”, ist so einer. Warum haben sie den wohl traurigsten der neuen Songs zum Namensgeber des Albums erkoren?

Ich habe das Lied schon vor Jahren geschrieben, aber es wurde irgendwie nie fertig. Ich trug es ewig mit mir herum, aber erst jetzt wurde es Zeit, es auch raus zu lassen. Der Song ist sehr persönlich für mich. Deshalb war von Anfang an klar, dass er das Zentrum des Albums wird. Sie sagen, das Lied sei traurig. Ja, das ist es. Denn es geht ums Loslassen und wie man damit lebt. Aber es bleibt nicht traurig, weil auch jede Menge Liebe und Hoffnung darin stecken.

 

Es geht um den Verlust geliebter Menschen, wenn ich das richtig verstanden habe?

Ja, absolut. Um Verluste, die unsere Vorstellungskraft übersteigen. Jemand stirbt und man muss einen Weg finden, ohne diesen Menschen auszukommen. Man muss weiter machen und akzeptieren, dass das Leben so ist wie es ist und den oder die Verstorbene bestmöglich in Erinnerung behalten.

 

Eine Geschichte zu erzählen, die persönlich Erlebtes verarbeitet und so die eigene Erfahrung zum Gegenstand macht, es aber trotzdem schafft, andere Menschen zu berühren – ist das eine Gabe, mit der sie aufgewachsen sind oder mussten Sie sich das hart erarbeiten?

(denkt lange nach) Ich hatte schon von Kindesbeinen an ein starkes Bedürfnis mich auszudrücken. Ich sang ständig. Und jemanden damit zu erreichen war immer das Ziel und ist es auch heute noch. Nur im Chor zu singen hat mich schon bald nicht mehr ganz glücklich gemacht. Ich hab gemerkt, dass ich das Solo brauche. Und ich hab, als ich heranwuchs, begonnen Gedichte zu schreiben. Das war enorm wichtig für mich. Es gibt heute noch tonnenweise Notizbücher in alten Koffern. Ja und dann kamen diese Dinge irgendwann zusammen. Vielleicht ist es das, was ich imstande bin zu tun. Ich füge all diese Dinge zusammen. Mir ist wichtig etwas selbst zu verstehen. Und dann möchte ich es wem auch immer erzählen, der willens ist zuzuhören, damit auch er oder sie etwas erkennt. Wenngleich meine Geschichte ist, wird es so doch auch zu ihrer, wenn auch auf eine andere Art und Weise.

 

Will man hinter der Geschichte weiterhin als Person erkennbar bleiben?

Ich tue mein bestes, persönlich zu sein. Vielleicht bin ich gar nicht fähig, nicht persönlich zu sein. Ich kenne nichts anderes. Ich weiß also nicht, wie es ist, nicht persönlich zu sein. Aber wenn Sie Grand White Silk hören und Sie merken, dass das irgendwie zu Ihrer Welt gehört, dann habe ich alles erreicht, was ich je erreichen wollte, und es wäre ein großer Fehler, sich anzufangen zu fragen, wer genau das ist, der das geschrieben hat. Ich möchte präsent sein als jemand, der eine Geschichte erzählt, nicht aber als mein Selbst.

 

Was kam bei Ihnen zuerst: Das Schreiben oder das Singen?

Der Drang zu singen, war immer da. Das kam immer an erster Stelle. Aber als ich sechzehn war, verlangte mein Musiklehrer plötzlich von mir einen Song zu schreiben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich das nie wirklich probiert. In dem Moment wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass ich dazu ja meine Gedichte verwenden könnte. Die Verbindung der beiden Welten war hergestellt. Aber nicht alles, was man schreibt, lässt sich in ein Musikstück verpacken. Aber der Gedanke, einen Text nicht singen zu können ist so unerträglich für mich…

(Denkt nach) Vielleicht wird es in zehn Jahren ein Buch von mir geben, im Moment aber sind Lyrics die perfekte Form, um mich auszudrücken. Songs sind das perfekte Format für mich.

 

In Ihrem Song „More“ geht es um den Druck, gewisse Dinge erreichen zu wollen, und das Phänomen, dass wir uns den größten Druck meist selber machen. Erzeugt das nicht auch Druck, wenn sie den Gedanken unerträglich finden, einen Text nicht singen zu können und alles in Bewegung setzen, um das zu ändern?

Oh ja. Bei mir gibt es zwei Arten von Druck: Der eine ist: Ich pushe mich selbst so lange, bis ich etwas bekomme, das ich immer und immer wieder vor mich hersagen kann und es das dabei einen gewissen Swing entfaltet. Etwas, das ich singen kann. Diese Art von Druck ist gut, weil er produktiv ist. Schlecht aber ist, was dir suggeriert, dass eine bestimmte Aufgabe zu schwer für dich sei. Die innere Stimme, die fragt: Was wenn ich es nicht schaffe? Was, wenn keine Ideen mehr kommen? Beide Arten des Druckes sind selbstgemacht, einer fokussiert dich, der andere lenkt dich ab.

 

Brauchen Sie ein spezielles Setting, eine spezielle Umgebung fürs Schreiben oder Komponieren?

Ich muss nicht an einem speziellen Ort sein, aber ich muss allein sein. Meine Kinder um mich zu haben ist sehr schwierig, weil sie mich brauchen und wollen, dass ich für sie da bin. Aber auch wenn mein Mann da ist und eigentlich gar nicht versucht, mich zu stören, stört er manchmal. Leute um mich herum zu haben, geht nicht. Ich brauche Kaffe und Einsamkeit.

 

Sie haben über Ihren Karrierestart in einem Gospel-Chor gesprochen. Fühlen Sie sich heute weit weg von dieser Zeit des Chorgesangs oder ist der Chor – metaphorisch gesprochen –  immer noch in ihrem Herzen?

Das ist absolut ein Teil von mir. Im Chor gibt es diese bestimmte Form von Energie im Sinne puren musikalischen Genusses. Der Chor war für mich ein Ort der Freude, an dem man sich nicht zurück hält, sondern sich das Herz aus dem Körper singt.

 

Ein guter Ort also, um mit der Sucht nach Musik zu beginnen?
Definitiv. Wissen Sie, „Grand White Silk“ war ähnlich wichtig, um mich zu befreien

Kjetil (Dalland, Anm.) und ich haben das Album gemeinsam produziert und wir haben uns entschlossen, nur eine Regel zu haben: Alles ist erlaubt! Es ist leicht, strikt zu sich zu sein und so vieles zu verhindern. Was nicht alles nicht geht, wenn man arbeitet. Das geht nicht, und das auch nicht. Dieses Album war ein befreiender Prozess, weil wir alles zugelassen haben. Das ist Teil dieser Energie. Werde nicht zu einer kleinen höflichen Version deiner selbst. Lass es raus!

 

Zum ersten Mal selbst zu produzieren – was für eine Erfahrung war das?

Eine sehr gute. Ich fühlte, dass die Zeit dafür gekommen war. Vom Debut „Glittercard“ bis zu diesem, meinem fünften Album habe ich das nie auch nur in Erwägung gezogen. Es war immer klar, dass das jemand anderer produzieren muss. Zar hat  keiner der Produzenten jemals etwas getan, dem ich nicht zugestimmt hätte, aber sie haben eben auch ganz klar die Zügel in der Hand gehabt. Und ich hätte das damals auch nicht gekonnt, weil es zu viel für mich war. Aber mit dem Tun lernt man´s. Und jetzt kann ich die Entscheidungen endlich selbst treffen ohne Angst zu haben, dabei das große Bild aus den Augen zu verlieren.

 

Ihre Beziehung zu Gitarrist und Bassist Kjetil Dalland ist eine besonders intensive. Wie wichtig sind solche Langzeitbeziehungen für den Produktionsprozess?

Sehr wichtig. Was ich brauche und eigentlich jeder braucht, der kreativ arbeitet, ist jemand, dem man seine Sachen zeigen kann, bevor man sich an die große Öffentlichkeit wendet. Jemanden, mit dem man während des Prozesses redet. Kjetil macht das ganz wunderbar. Er nimmt Dinge an, ist interessiert, will mehr erfahren. Und wenn er mir das Stück dann zurück gibt, ist etwas damit passiert. Ohne ihn wäre meine Musik nicht dieselbe. Er versteht mich und meine Musik. Das sag ich auch immer meinen Schülern: Wenn ihr jemanden findet, der das, was ihr macht, liebt und sich mit euch Bälle zuspielen will, lasst diesen Menschen nie wieder gehen, denn ihr seid abhängig von Leuten, die in eure kreative Welt eintauchen und mit euch arbeiten wollen. Das ist unbezahlbar.

 

Im Pressetext zum Album heißt es „Grand White Chilk“ sei Ihr bislang „ambitioniertestes“ Album. Presseübliche Übertreibung oder ist dem tatsächlich so?

(lacht) Ich hab natürlich nicht gesagt: Schreibt das bitte so! Die Wahrheit aber ist, dass jedes Album sich wie das ambitionierteste anfühlt und auch anfühlen muss. Du willst dich ja weiter entwickeln. Wenn wir über wahre Gefühle reden, hatte ich bei diesem Album das Gefühl, wirklich mutig sein zu müssen, um etwas von hier nach da zu bewegen. In diesem Sinne war ich ambitioniert. Ich will, dass, wer die früheren Alben kennt, meine Art Songs zu schreiben zwar wiedererkennt, gleichzeitig aber denkt: Hey, irgendwie ist das aber auch etwas Neues. Also: Ambitioniert ja, aber auch nicht so ambitioniert, um zu weit von meinem Weg abzukommen.

 

Wie würden Sie ihre Philosophie beschreiben, mit Publikum in Kontakt zu treten?

Wir gestalten das, was in diesem Raum passiert, zu gleichen Teilen gemeinsam. Meine Verantwortung ist es, alles zu geben, was ich habe. Und wenn das Publikum zuhören will, wird zwischen uns etwas passieren, was vielleicht unser Leben verändert. Denn das ist es, was Musik kann: Sie kann Leben verändern. Wenn ich jemandem zuhöre, wird mir etwas gegeben, was zu einem Teil meines Lebens wird, in Beziehung zu meinen Geschichten tritt. Das ist es, was ich versuche, aber was auch jede andere Kunstform zu leisten imstande ist: Unser Leben zu verändern, indem sie herkömmliche Kommunikation unterwandert, sie durchbricht. Musik verbindet uns. Sie kümmert sich nicht darum, wo wir herkommen, sondern berührt uns tief drinnen.

 

Wenn man sich die Werbung ansieht, scheint sich alles nur um Sonne, Strand und knappe Bikinis zu drehen. Wie begeistert man jemanden aus dieser sommerzentrierten Gesellschaft für den norwegischen Winter und ein Album, das aus diesem zu kommen scheint?

Witzig dass sie das sagen, weil ich selbst nie daran gedacht hätte, es als ein Winter-Album zu bezeichnen. Aber auch bei meinem Label wurde es sofort als solches klassifiziert. Ich bin nicht sicher, ob ich das kann: Jemanden für die Kälte zu begeistern. Aber (denkt nach)… waren Sie schon einmal in Norwegen?

 

Leider nicht.

Dann kommen Sie, aber kommen Sie im Sommer, dann kriegen sie diese langen Sommertage. Die Sonne geht kaum unter. Für uns Norweger beginnt der Herbst ja schon im August. Die Tage werden kürzer. Aber, was das Album angeht: Vielleicht heben es sich Leute für die kalten Tage auf und es wärmt sie von innen, wenn sie die Musik hören. Das wäre schön.

 

Vielen Dank für das Gespräch.