Tausend Geheimnisse
Die Suche nach dem perfekten Klang ist immer auch eine Suche nach perfekten Räumen. Eine Reise zu Österreichs innovativsten Orten der Klangerzeugung zwischen Restauration und Innovation.
Wenn die Wiener Philharmoniker ihr traditionelles Neujahrskonzert spielen, ist das ein Ereignis von Weltrang: 45 Millionen Menschen weltweit verfolgen die Fernsehübertragung in insgesamt 70 Ländern. Ein Geheimnis dieses Erfolges ist das perfekte Klangbild des großen Saals im Wiener Musikverein, Heimat der Wiener Philharmoniker. Er ist der Konzertsaal mit der angeblich besten Akustik der Welt. Trotz zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten wurde dieses Phänomen allerdings nie wirklich entschlüsselt. Ein Mythos.
Prof. Karlheinz Müller von der Müller-BBM, einem auf Bauakustik und Raumakustik spezialisierten Münchner Unternehmen mit über 350 Mitarbeitern relativiert: Heute stehe der Musikverein zwar als festes Glied da, aber wenn man sich seine Geschichte genau ansieht, könne man feststellen, dass im Laufe der Zeit viel geändert wurde. „Nichts sei von Anfang an so perfekt“, ist sich Müller sicher. „Jeder Saal muss langsam wachsen.“ Deshalb auch würden neu gebaute Konzertsäle meist modular gestaltet, so dass man Klang und Klangeindruck optimieren kann. „Dieses Feintuning muss man jedem Saal zugestehen.“
Für den Wohlklang sind neben dem Saal mit seiner perfekten Akustik natürlich auch die gespielten Instrumente verantwortlich – wie etwa die Orgel des Musikvereins, ein über 18 Meter hohes und über 28 Tonnen schweres Meisterwerk aus dem Hause Rieger. Die in Vorarlberg gelegene Orgelmanufaktur vereint traditionell handwerkliche Orgelbaukunst mit der Hochtechnologie des 21. Jahrhunderts.
Heraus kommen dabei neben sakralen Instrumenten (z.B. die Orgel im Dom zu Regensburg) auch symphonisch genutzte Instrumente wie dieses.
Die Kunst der Verschmelzung
Für die Restaurierung einer solchen Orgel, erzählt Geschäftsführer Wendelin Eberle, sei das Wissen um den historischen Klang unumgänglich. Nur wer sich gedanklich völlig in die Zeit der Erbauer zurückversetzt und jedem Detail Beachtung schenkt, kann den Geist wieder zum Leben erwecken. 6.138 Pfeifen und mehrere zehntausend Einzelteile waren für das über zwei Millionen Euro teure Instrument notwendig. Doch trotz oder gerade wegen dieses Aufwandes: Auch heute noch, im Zeitalter der Hochtechnologie, ist das menschliche Ohr das wichtigste Instrument des Orgelbauers. Bei der Klanggestaltung verlässt sich der Intonateur ausschließlich auf sein Gehör und seine Erfahrung. Eine Vorstellung von Klang sei es, die ihn antreibt. Und je nach stilistischer Ausrichtung resultieren daraus die Wahl der Register, die Bauform, Metalllegierung, Holzart und Temperierung. Die aufwändige Feinabstimmung auf die spezielle Raumakustik aber erfolgt erst im Bestimmungsraum. „Die spezifische Klangvorstellung mit der Umgebung zu verschmelzen, das ist die Kunst.“
Auch in Niederösterreich werden Instrumente gebaut. Und glaubt man Spitzenmusikern, gehören die Trompeten von Schagerl zu den besten der Welt. Das im beschaulichen Mank im Mostviertel gelegene Unternehmen ist heute der weltweit größte Hersteller von Drehventiltrompeten. Doch was macht eine Schagerl-Trompete aus?
„Es ist wichtig, sich im Zentrum der Vorstellung der Musiker zu befinden“, so Schagerl. Denn trotz anatomischer Unterschiede sei ein Großteil der Menschen ähnlich. Für die gelte es Instrumente zu bauen. Doch wie genau klingt das? Gibt es einen bestimmten Klang, den alle Trompeter schön finden? Gibt es den typischen Schagerl-Sound? „Ja“, meint der Klangtüftler. „Was die Musiker an unseren Instrumenten schätzen, ist der gewisse Widerstand, den es braucht, um in das Instrument spielen zu können.“ Eine Art Polster. „Als ob ein Wind ginge und ich mich mit dem Körper ein wenig gegen den Wind lehne.“
Es sind Bilder wie diese, die uns die komplizierte Psychoakustik mit ihren Gesetzen ein wenig verständlicher machen. Oder dieses: Wenn in einem Wald ein Baum umfällt und niemand da ist, der es hört, gibt es auch kein Geräusch. Denn Geräusche sind ein geistiges Bild, erzeugt vom Gehirn als Reaktion auf schwingende Moleküle.
400 Jahre altes Holz
Bleiben wir im Wald: In den gingen früher Geigenbauer, um sich für ihre Instrumente geeignetes Holz zu suchen. Heute machen das Firmen wie Tonewood. Die in Aigen im Mühlviertel gelegene Firma hat sich auf die Herstellung von Musikhölzern spezialisiert. Ihr Geheimnis: Die alpine Bergfichte. Die habe weltweit gesehen den besten Klang, erzählt Inhaber Christoph Kölbl. Firmen wie Bechstein oder Yamaha schwören auf das Holz von Tonewood.
Doch was macht seinen Klang aus? „Vor allem der Faserverlauf“, sagt Kölbl. Der muss so gerade wie möglich sein, damit der Klang optimal transportiert wird. Die Stämme, die man dafür braucht, sind dick. Unter 45 cm Duchmesser geht gar nichts, für Celli braucht man 75 cm. „Da kann es schon einmal vorkommen, dass man bis zu 400 Jahre alte Stämme bearbeiten muss.“ Die Bäume selbst müssen langsam gewachsen sein. Ruhige Gegenden und Täler ohne viel Wind seien dafür prädestiniert, so Kölbl. 8.000 m3 Holz sind es, die Tonewood jährlich an besonderen Stellen aufspürt und dann mit „detailliertem Feingefühl“ bearbeitet.
Weg von der Schuhschachtel
Zurück in den Musikverein. Ließen sich ein akustisch perfekter Saal nicht einfach 1:1 nachbilden? Natürlich ginge das, ist sich Akustiker Prof. Bernd Quiring sicher. Doch es wäre nur ein Replikat, mit den sklavisch exakt kopierten Dimensionen und Ausstattungsmerkmalen des Originals. Deshalb auch entschied er sich, als er gemeinsam mit den Architekten Holzbauer/Irresberger den Auftrag zum Erweiterungsbau erhielt, gegen die Nachahmung und für das Wagnis: Einen gläsernen Saal.
Unter den Mitgliedern des Plenums war man damals schockiert. Glas gilt gemeinhin als akustisch problematisch. Das Endergebnis begeisterte dennoch: Nikolaus Harnoncourt meinte, nachdem er dort das erste Mal die Schöpfung dirigiert hatte, nachher, es sei erstaunlich, dass man in einem so kleinen Saal eine derartige Raumakustik zusammenbrächte.
Warum hat es entgegen allen Klischees, Glas sei untauglich, funktioniert? Weil es, so Quiring, weitgehend egal sei, welche Materialien man verwendet. „Es ist der Umgang mit den Materialien, der entscheidend ist.“ Und wenn er dann von Abstufung von Steifigkeiten, und einem Durchhängen des Raumes, das sich langsam zurück nimmt, spricht, erahnt man, wie kompliziert es in Wahrheit ist, eine für uns angenehme Raumakustik zu erzeugen. Und leicht zugleich: „Denn letztlich geht es darum, sich von der Schuhschachtel wegzubewegen“, lacht der Akustiker. Mit Moden müsse man trotzdem vorsichtig sein. Schließlich ginge es bei vielen Häusern um Kontinuität. Bei anderen wie dem neuen Linzer Musiktheater, das Quiring betreute, seien von vorneherein viele verschiedene Nutzungen angedacht. Das alles sei in die Planungen miteinzubeziehen.
„Gegen die Wand“
Wichtig für den perfekten Klang sind also sowohl der Raum, als auch die Instrumente und deren Rohmaterialien. Doch was, wenn gar kein Raum da ist? Ganz einfach: Dann muss man diesen simulieren. Draußen nämlich, wo es von Natur aus an jeglicher Raumakustik fehlt.
Ohne künstlich geschaffenen Raumklang, erzählt Martin Mayer, würde der Schall einfach punktförmig am Horizont kollabieren. Mayer ist Tonmeister und Sound Designer der Opernfestspiele St Margarethen. Dort, in einem Steinbruch in den sanften burgenländischen Hügeln wird Sommer für Sommer mit kleinem Budget versucht, akustisch Großes auf die Bühne zu zaubern. Mit Erfolg: 2005 erhielt Mayer für sein Sounddesign der Aida 2004 den Opus – deutscher Bühnenpreis.
Und das, obwohl man die Gegebenheiten nicht ideal sind. Die gegenüber der Bühne gelegene Felswand würde, träfe man keine speziellen Vorkehrungen, für ein massives und störendes Echo sorgen. Mayer behilft sich mit einer vertikale Bündelung des Schalls. So lässt sich das Echo elektroakustisch abfedern. Vereinfacht gesagt: Man spielt den Schall nur so weit, dass es gar nicht erst zum Echo kommt.
Ein virtueller Raum ersetzt also die fehlende Raumakustik. Mayers Klangvorstellungen orientieren sich dabei an den Hörgewohnheiten eines breiten Publikums, am Kino-Breitwand-Sound, der auch dem hollywood-erfahrenen Regisseur Robert Dornhelm, entgegenkommt.
800 Boxen
Was technologisch heute in Sachen Simulation machbar ist, zeigen die Bregenzer Festspiele. Eine wichtige Komponente des dort installierten Systems B.O.A (Bregenz Open Acoustic) ist das „Richtungshören“, schildert Rudolf Illmer, Leiter der Akustik. Da man den Schall auch dort wahrnehmen soll, wo Aktion passiert, ist die gesamte Seebühne in Richtungsgebiete eingeteilt. Pro Gebiet gibt es zwischen 15 und 20 Lautsprecher. Ein Richtungsmischer achtet darauf, dass die Stimmen der Solisten auch tatsächlich von dort kommen, wo die Solisten gerade stehen. Die wichtigsten Darsteller werden, abgelöst von der Programmierung, per Hand manipuliert. Da der Sound parallel zur Bewegung mitläuft, werden permanent Lautsprecher, zeitlich- und pegelangepasst, zu- und weggeschaltet. Ein verantwortungsvoller Job.
Dazu kommt die Raumsimulation, die man „wie eine hochauflösende Dolbysurroundanlage sehen kann“, so Illmer. „Nur dass wir statt fünf Kanälen 800 haben.“ So viele Boxen nämlich sind es, die in einem Band nahtlos um den Zuschauerbereich gefächert sind. „Durch diese Menge an Lautsprechern lässt sich der Sound filigraner und feiner aufteilen.“ Doch wie weit kommt man mit solch einer kostspieligen und technisch hochklassigen Raumsimulation? Illmer: „Das Klangbild eines Wr. Konzertvereins werden wir wohl nicht ganz erreichen. Doch geben uns unsere Besucher, internationale Fachexperten und auch die Presse Recht, tendenziell richtig unterwegs zu sein.“
Derzeit denkt man in Bregenz über die Eröffnung einer dritten klanglichen Dimension nach. Lautsprecher von oben, von unten – all das wird angedacht und teilweise wieder verworfen, um das Open-Air-Feeling nicht durch Kranarme oder ähnliches zu beschneiden. Mayer hingegen träumt vom Körperhören: Während man in einem Saal den Kontrabass über Vibrationen spüren könne, sei das outdoor nicht der Fall. Das will er ändern. Der Experimentierfreudigkeit sind kaum Grenzen gesetzt. Man muss sich immer wieder an Dinge heranwagen und mutig sein, sagt Robert Schagerl. Das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht, meinen Illmer und Mayer unisono.
Draußen unverstärkt?
Obwohl im Freien, kann man im Grafenegger Wolkenturm elektroakustisch unverstärkt musizieren. Oder wie es Architektin Marie-Therese Harnoncourt, die gemeinsam mit ihrem Partner Ernst J. Fuchs von The Next Enterprise Architects
den Freiluftpavillon konzipierte und realisierte, formuliert: „Eine Freiluftbühne für Musiker hoher Qualität und große Orchester.“ Ermöglicht wird dies durch einen sich dem Zuhörern hin öffnenden Schalltrichter. Unterschiedlichste Materialien wie Beton, Stahl und Holz wurden verwendet. Deren Eigenschaften ergänzen sich wunderbar und setzen sich zu einem positiven Hörbild zusammen, das auch Lang Lang beeindruckte. Nach seinem ersten Auftritt meinte der Star-Pianist, Grafenegg sei die beste Freiluftbühne, die er je bespielt habe. Verantwortlich dafür ist zum einen die Akribie, mit der die Architekten gemeinsam mit dem Raumakustiker Müller jede noch so kleine Fläche auf ihre akustischen Eigenschaften untersuchten. Zahlt sich denn solch ein Aufwand aus? „Unbedingt. Planungskosten machen nur ca. 1% des Gesamtbudgets aus.“
Aber auch die trichterförmige Öffnung des Baukörpers leistet einen wesentlichen Beitrag: „Es gibt keine Fläche, die parallel zu einer anderen steht“, so Harnoncourt. Aber auch die Absenkung des Zuschauerraum in ein Becken, das trotz seiner geometrischen Raumgrenzen wie selbstverständlich in der Wiese liegt, sorgt für die Optimierung der Sicht- und Klangbedingungen.
Geometrie und Akribie? Ist das vielleicht das Geheimnis des Erfolges?
„Es gibt in der Akustik nicht ein Geheimnis“, antwortet Raumakustik-Experte Müller trocken. „Es sind tausend Geheimnisse.“ Und vergegenwärtigt man sich den Aufwand – vom Finden der richtigen Alpenfichte für den Boden des Klaviers, auf dem Stars wie lang Lang spielen, bis hin zur komplex mikrophonierten Raumsimulation, stimmt man ihm nur allzu gerne zu.