Die Kunst zu überleben
Marko Feingold hat das Unfassbare erlebt und über das Unbeschreibliche ein Buch geschrieben. Feigold war nicht nur der erste Österreicher in Auschwitz – zu einer Zeit, als es noch keine Gaskammern gab, sondern man die Häftlinge, wenn sie zu schwach zum Arbeiten waren, mit bloßen Händen erschlug – er war auch Häftling in Neuengamme, Dachau und Buchenwald. Seine Autobiographie, die soeben in ihrer zweiten Auflage erschien, erzählt, was er dort an unmenschlicher Grausamkeit über sich ergehen lassen musste, wie man solch eine Tortur überleben kann und vor allem: wie man danach weiter lebt.
Das im nüchternen Interviewstil gehaltene Buch ist vielleicht kein literarisches Großereignis, ein menschliches Großereignis ist es allemal. Denn obwohl die ganze Menschlichkeit, wie Feingold schreibt, im KZ-Alltag verloren ging, hat sich Marko Feingold seine bewahrt. Und seinen Humor. Trotz all der Tragik nämlich weist Feingolds Autobiographie auch zahlreiche wirklich komische Episoden auf – etwa die, als er um ein Haar in der polnischen Armee gelandet wäre; oder lakonische Betrachtungen, die die ganze Absurdität der NS-Logik offenlegen – etwa wenn er sich fragt, wieso die Juden eigentlich, obwohl sie doch angeblich so leicht an ihrer Physiognomie erkennbar waren, eine Stern tragen mussten.
Den Buchtitel „Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh“ erklärt der Schoah-Überlebende so: Als Maurerlehrling wurde er 1943 in Buchenwald von einem Vorarbeiter gemeinsam mit einem anderen Häftling zu einem Holzhaus geschickt, wo die beiden, so hieß es, einen Betonboden verlegen sollten. Dort mit Mörtel und Zement angekommen, traute Feingold seinen Augen nicht. In der Hütte stapelten sich die Leichen meterhoch. „Warum glotzt ihr so?“ wurden sie, als sie ungläubig dort standen, angebrüllt. „Nehmt die Leichen und schlichtet sie in die Ecke. Denen tut nichts mehr weh!“ Was damals so neu, so unglaublich war, sollte bald Alltag werden: Als „harmloser Häftling“, erzählt Feingold, habe er wohl mehr Leichen gesehen als ein Leichenträger am Friedhof sein ganzes Leben lang.
Der Titel des Buches aber lässt sich freilich auch anders verstehen, als Lebensmotto nämlich, denn auch Feingold selbst, so scheint es, ist im Zuge seiner Zeit im KZ mehrfach gestorben und wurde mehrfach wiedergeboren: Eine dieser Wiedergeburten, schildert er eindrücklich, passierte auf der Überstellung von Neuengamme nach Dachau. Auf unter 30 Kilogramm abgemagert und eigentlich schon todgeweiht, sei er in Dachau ausgestiegen, habe die Alpenluft durchgeatmet und sei plötzlich wie durch ein Wunder wieder gesund gewesen.
Auch heute erfreut sich Marco Feingold trotz seiner 99 Lebensjahre noch immer bester Gesundheit. Nach der Befreiung durch die Alliierten hat es ihn nach Salzburg verschlagen, wo er sich eine neue Existenz aufbaute. Zuerst als Leiter einer Verpflegungsstelle für politisch Verfolgte, dann als Betreiber eines Modegeschäftes und heute, in seiner Pension, als Präsident der israelitischen Kultusgemeinde. Und obwohl jede Frage und jede Antwort schmerzvolle Erinnerungen in ihm wachrufen, ist sein Engagement gegen das Vergessen ungebrochen.