Grausame Wiederkehr
Neue Musik ist langweilig? Neue Musik ist unpolitisch? Georg Friedrich Haas´ bei den Salzburger Festspielen aufgeführtes Stück „In Vain“ ist der Klang gewordene Gegenbeweis.
Sich Luft machen. Dem Zorn über die politischen Verhältnisse Ausdruck verleihen. Mit der Gesamtsituation unzufrieden sein und diesem Ärger freien musikalischen Lauf lassen. So in etwa könnte man die Entstehungsgeschichte zu Georg Friedrich Haas´ Stück „In Vain“ kurz zusammenfassen. „Umsonst“ ist in dieser unter dem Eindruck der politischen Wende Österreichs im Jahre 2000 entstandenen Arbeit aber nichts, nicht einmal die von Haas so geschmähte Reprise.
„Das Problem der Reprise ist doch“, erzählt der in Graz geborene Komponist rückblickend, „dass man so tut, als könnte man noch einmal an den Anfang zurückkehren.“ Wenn am Schluss einer Bruckner-Symphonie noch einmal die Anfangssituation einer begeisterten Apotheose beschworen wird, sei das ein Weltbild, so Haas, das er nicht teilen könne. Er selbst habe die Reprise immer verachtet und deshalb auch nie eine komponiert – bis zu diesem verhängnisvollen Jahr 2000, als die Menge tobte und die Eier flogen und der Komponist seine Abneigung gegen Reprisen zugunsten einer konkreten Komposition überwand. Schließlich war es ein Jahr, „in dem klar wurde, dass es so etwas wie Reprisen tatsächlich noch gibt, dass sie aber gar nichts mit begeisterten Apotheosen zu tun haben, sondern gleichbedeutend mit der furchtbaren Erkenntnis sind, dass das, was man für überwunden glaubte, tatsächlich wieder auftauchen kann.
„In Vain“ verhandelt also das Beklemmende der Wiederkehr und das persönliche Entsetzen eines Komponisten darüber, der auch politisch denkender Mensch und als solcher schlicht und ergreifend betroffen ist. Die Reprise als politisch-menschliche Katastrophe.
Zweifel und Gefahren
Aber muss man die musikalische Wiederkehr tatsächlich als bedrückend empfinden? Gerade im Pop sorgt der Refrain doch eher für Eingängigkeit und Vertrautheit als für beängstigende Stimmung. Hier gibt sich Haas unnachgiebig: „Wenn man dieses Wiederkehrende in „In Vain“ nicht als beklemmend empfindet, habe ich etwas falsch gemacht.“ Hat er nicht. Tatsächlich beschleicht einen jedes Mal, wenn der folkloristisch und gleichzeitig ewig gestrig anmutende Bläsersatz anhebt, ein unangenehmes Gefühl. Und dennoch, obwohl die gewünschte Wirkung eintritt, übt sich der Komponist im Selbstzweifel: „Wenn nach einer halben Stunde der Obertonakkord von der Tiefe nach oben aufgebaut wird, was sehr traditionell klingt, fragt man sich unweigerlich, ob man das denn darf oder nicht vielleicht doch aus einer weit verbreiteten Angst heraus Dinge zu plakativ, zu direkt zu formulieren, der Versuchung erliegt, überholte Klischees neu aufzuarbeiten.“ Auch bei seiner letzten Oper „Bluthaus“, so Haas, habe es Stellen gegeben, bei denen er sich beim Schreiben unweigerlich fragte, ob man das denn dürfe, ganz einfach „weil man so etwas ja eigentlich gar nicht darf.“ In Wahrheit ist es aber, sobald man sich diese Frage stellt, das weiß auch Haas, eigentlich schon zu spät. Man muss. „Und erst bei der Aufführung merkt man dann, dass man nicht der einzige ist, der davon überzeugt wird.“
Wenn Plakatives auf Subversives trifft, erfordert das bei Haas musikalische Höchstleistungen, denn im Laufe des Stückes gibt es eine ganze Menge von Akkorden, die in der Intonation der Obertonreihe und daher in der Genauigkeit von Sechstel-, Viertel- und Zwölfteltönen zu intonieren sind. Das heißt, die Musiker müssen diese für sie ungewöhnlichen Akkorde in einer Genauigkeit intonieren, die es in der klassischen wie Neuen Musik normalerweise nicht gibt. Eine Intonationsbreite von plus minus einem Zwanzigstelton ist etwas, das bei einem Streichquartett innerhalb der interpretatorischen Bandbreite liegt und gut und schön ist. Dieselbe Unschärfe aber, so Haas, würde einen Obertonakkord bereits zerstören – und zwar für jedermann hörbar, nicht nur für den Fachmann oder die Fachfrau. Eine enorme Herausforderung. Und kaum hat man sich als Musiker an diese Obertonharmonik gewöhnt, wechselt Haas die Klangsprache und springt zurück in die temperierte Musik und damit in die herkömmliche Harmonik. Die Musiker müssen demnach ständig zwischen unterschiedlichen Intonationsbandbreiten hin- und herspringen.
Wenn Haas hier die Uraufführung, als die Oberton-Akkorde trotz tadellosem Vortrag letztlich noch nicht so saßen, wie sie gewollt waren, mit der späteren Brillanz der CD-Aufnahme (Klangforum Wien unter der Leitung von Sylvain Cabreling/Kairos) vergleicht, wird einem die ganze Dimension der Uraufführungs-Problematik bewusst. „Kein Werk kann bei der Uraufführung seine volle Qualität entfalten“, so Haas. „Es muss sich entwickeln.“ Erst anhand dieser jahrelangen Entwicklung sehe man, wie lange man tatsächlich an einem Stück arbeiten muss, bis es dort angelangt ist, wo es der Komponist immer haben wollte.
Verschmelzung im Mahlerschen Sinne
Georg Friedrich Haas selbst wird am 13. August, wenn „In Vain“ in der Salzburger Kollegenkirche zur Aufführung gelangt, nicht dort sein, wo ihn die Salzburger gerne haben wollen. Da er zur gleichen Zeit in Luzern als Composer in Residence wirkt, ist er unabkömmlich – ein Umstand, den er selbst sehr bedauert. Zu gerne hätte er gesehen und gehört, wie sein Stück in Zusammenspiel mit John Cages „Ryoanji“ funktioniert. Haas geht so weit, Cage als einen seiner Götter zu bezeichnen. „Aber ich bin kein Monotheist“, fügt er lachend hinzu.
Schade ist sein Fernbleiben aber auch, weil in Salzburg heuer ein weiterer seiner Götter besonders geehrt wird: Gustav Mahler. „Noch als Student habe ich Hochschullehrer kennen gelernt, die beweisen wollten, was für eine geschmacklose Musik das doch sei, weil immer wieder Trivialitäten in sie Eingang fänden“, erzählt er. „Schon damals aber spürte ich, wie Unrecht diese Leute doch hatten, weil der Musik eine Leuchtkraft und Intensität innewohnt, die einzigartig ist.“ Darüber hinaus aber werden in Mahlers Musik auch Themen abgehandelt, die genauso für Haas´ Oevre stets maßgeblich waren: Verschmelzung und Reibung nämlich. Verschmelzung aber will Haas nicht so verstanden wissen, dass Gegensätze in seiner Musik miteinander versöhnt würden und dadurch ein Kunstwerk entstehe, das in eine schöne neue Welt führt, in der alles sich in esoterischem Wohlbefinden auflöst, sondern eben im Mahlerschen Sinne, wonach Gegensätze in ihrer ganzen harten und scharfen Gegensätzlichkeit nebeneinander bestehen bleiben.
Schönklang für Schüssel?
Doch „In Vain“ hat nicht nur eine politisch aufrüttelnde, eine aufwieglerische und eine aufführungstechnisch spektakuläre, es hat auch eine wirklich tragische Komponente. Denn Haas hat nach diesem Stück für immer aufgehört, politische Musik zu schreiben. Zwar hält er das Stück selbst noch immer für gelungen und steht zu 100% hinter ihm, doch aus ideologischer Sicht hält er es für nicht ganz geglückt. „Ich kann einfach heute nicht mehr aus jenen naiven Beweggründen heraus politisch motivierte Musik schreiben, wie ich das damals glaubte zu können“ sagt er.
Doch warum? Die Antwort ist so einfach wie desillusionierend: „Weil die klangliche Ausgangssituation eine viel zu hohe Qualität hat. Sie ist viel zu schön für Schüssel und Haider. Dafür, wie es eigentlich klingen müsste, gibt es in meinem musikalischen Kosmos keinen Ausdruck mehr“, meint er und setzt hinzu: „Für diese Leute wäre eine Generalpause noch zu schön.“ „Das Stück stimmt also. Aber es stimmt nicht, weil es ein politisches Stück ist, sonder trotzdem.“