GEORG KREISLER – Die Anarchie des Augenblicks
In Leben und Werk hat Georg Kreisler die Unangepasstheit zum Prinzip erhoben und wahrscheinlich war und ist er deshalb Österreichs einzig lebender Anarchist von künstlerischem Weltrang. Er sei „ein Könner und Kauz zugleich“ und er sei „von sublimer Verspieltheit“, schrieb Hans Weigel einmal über ihn. Er vergaß hinzuzufügen, wie treffend bissig Georg Kreisler sein konnte. Vielleicht wurde ihm auch desshalb nie die Anerkennung zuteil, die er als Dichter und Komponist verdient hätte. Daniel Kehlmann hat den Mann, der für Charly Chaplin komponierte und mit Bugsy Siegel Schach spielte, zur Reihe ‚Dichter zu Gast‘ eingeladen. Mit Salon sprach er über Zensur, die 68er und Antisemitismus.
Wissen Sie noch, wann Sie das letzte Mal zensiert wurden?
Die Frage ist, was man ‚zensiert‘ nennt. Der Schlusssatz meines neuen Buches lautete ‚Über Europa kann man nur lachen‘. Der Lektor meinte, der Satz käme zu unvermittelt, und es wäre besser, wenn man ihn weglassen könnte. Ist das Zensur?
Da fängt sie wohl an.
Dann werde ich eigentlich die ganze Zeit zensiert. Ich arbeite jetzt seit etwa fünfzig Jahren in Europa, und mit wenigen Ausnahmen habe ich nie einen großen Verlag oder ein großes Plattenlabel für meine Arbeit begeistern können. Nur wenige Theaterstücke von mir werden gespielt. Das ist auch eine Form der Zensur. Von den großen Medien werde ich einfach nicht akzeptiert.
Und das Publikum?
Mit dem hatte ich nie Schwierigkeiten. Meistens habe ich vor ausverkauften Sälen gespielt. Schlechten Besuch hatte ich nur, wenn jemand dachte, dass der Kreisler so bekannt ist, dass man kein Plakat braucht.
Wovon träumen Sie, wenn Sie schreiben?
Es ist nicht eine Frage des Träumens, sondern dass man eigentlich in einer irrealen Welt lebt, so lang man schreibt oder komponiert. Ein tranceähnlicher Zustand. Andererseits lebe ich ein bürgerliches Leben. Ich zieh mich nicht verrückt an und meine Orgien liegen auch schon länger zurück.
Aber wenn man an Georg Kreisler denkt, denkt man dennoch nicht an Normalität.
Ich weiß, worauf sie hinaus wollen. Angepasst bin ich trotz meines normalen Lebens noch lange nicht.
Über ihren Dienst in der US-Army meinten Sie, Sie hätten die Erfahrung gemacht, dass einem nichts passiert, wenn man nur konsequent ungehorsam ist.
Es ist mir auch wirklich nie etwas passiert, obwohl ich mich immer wieder unerlaubt von der Truppe entfernt habe.
Widerstand als Prinzip?
Wenn man mich zu etwas zwingen will, dann gehe ich. Heute mehr als früher, als ich durch die Immigration starke Existenzängste hatte und mich daran gewöhnen musste, überall mitzumachen, um ein Auskommen zu finden. Als es mir dann besser ging, habe ich mir den Luxus erlaubt, öfter einmal ‚Nein‘ zu sagen.
Das heutige Fernsehen muss ihnen ob seiner stumpfsinnigen Angepasstheit ein Gräuel sein?
Was heute Comedy genannt wird, ist wirklich übel. Da schau ich schon nicht mehr hin. Gelegentlich überzeuge ich mich davon, dass es auch wirklich nicht gut ist, und dann lass ich’s wieder.
Wenn Sie zwanzig Jahre später geboren worden, wären Sie wohl ein 68er geworden, dreißig Jahre später vielleicht sogar Punk…
Bis zu einem gewissen Grad war ich ein 68er, obwohl ich schon in den Vierzigern war. Ich hatte eine starke Sympathie für die Bewegung und habe sie auch heute noch. Ich war auch einer der ersten, der mit dem Publikum diskutierte: Auf dem Klavier hatte ich eine kleine Glocke. Wenn ich sie läutete, ging das Saallicht an und ich forderte die Leute auf, sich mit mir zu unterhalten. Da hat man mir schon auch mal Stühle auf die Bühne geschmissen.
Aber obwohl Sie sehr explizit waren – Zeilen wie ‚Es hat keinen Sinn mehr, Worte zu wählen, die Zeiten sind vorbei‘ klangen für viele nach Ulrike Meinhof – wurden sie von der Bewegung nie so richtig akzeptiert.
Ich glaube nicht. Ich demonstrierte, schrieb, wurde zensiert und habe weiter meine Abende gemacht.
Würden Sie sich immer noch als Anarchisten bezeichnen?
Natürlich.
Inwiefern?
Insofern, als es klüger wäre, zu verwalten als zu regieren. Menschen sollten über andere Menschen höchstens Autorität, nicht aber Macht haben. Mein Schneider etwa hat – was den Schnitt meiner Anzüge betrifft – Autorität, weil er davon mehr versteht als ich. Macht hat er deshalb noch lange keine über mich.
Sie haben einmal gesagt, erst die Geschichte habe Sie zum Juden gemacht?
Einer meiner Freunde wurde einmal von seiner Tochter gefragt, was sie zur Jüdin mache. Er antwortete: Die Antisemiten. Das trifft es. Ich hätte wenig Interesse am Judentum entwickelt, wenn ich nicht dauernd Antisemitismus erleben hätte müssten. Der hat mein Leben bestimmt, nicht das Judentum.
Diesen selbstverständlichen Antisemitismus von damals, gibt es den den noch?
Auf jeden Fall, es hat sich rein gar nichts geändert.
Parlamentsmitarbeiter, die einschlägiges Material bestellen, mutwillig gestörtes Gedenken… Wird der Antisemitismus auch wieder salonfähiger?
Es ist keine Frage der Salonfähigkeit. Es ist die innere Überzeugung, dass Juden eine andere Art von Mensch sind. Das ist natürlich Unsinn. Sie sind höchstens in der Hinsicht anders, dass sie verfolgt und benachteiligt werden. Aber sonst: Schauen Sie nach Israel, dort sind die Leute genauso dumm wie überall anders auch.
Heute versucht Daniel Barenboim mit dem West-Östlichen Diwan-Orchester, Israelis und Palästinenser einander näher zu bringen…
Das ist ein lobenswerter Versuch, der aber keinen großen Effekt zeitigen wird, nicht einmal bei den Leuten, die im Orchester spielen: Die arbeiten gemeinsam, aber werden sie ihre Meinungen ändern?
In Salzburg hatten Sie einmal großen Erfolg mit einer Inszenierung des Lumpazivagabundus, in der Nazis neben Juden spielten. Wie lief diese Zusammenarbeit?
Über Rassenfragen wurde nicht gesprochen. Man hat zusammen gearbeitet, sich aber sonst nicht an einen Tisch gesetzt.
Sie gelten als manischer Auswendiglerner. Ihre Biografen meinen, Sie hätten eine ganze Bibliothek im Kopf.
Ich hab ein ganz gutes Gedächtnis.
Welcher Zweizeiler kommt ihnen spontan in den Sinn?
Die Zeile eines neuen Gedichtes: „Am Strand von San Francisco hat der Mond bisweilen eine blütenweiße Farbe Und wer dann zufällig in San Francisco wohnt, den schmerzt auf einmal eine alte Narbe.“ So fängt es an…
Vielen Dank für das Gespräch.